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Die Scheune (German Edition)

Die Scheune (German Edition)

Titel: Die Scheune (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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gehen und sich einen Platz bei ihm erbitten. Sie ließ es schließlich. Er war neu und sicherlich nicht morgen schon wieder weg. Ihr Herz pochte bis spät in die Nacht, bis sie endlich einschlief.
     
    Die erste Nacht verlief wider Erwarten ruhig für Dane. Er fühlte sich entspannt und etwas klarer als gestern.
    Jemand hatte einen Zettel an seine Innentür geklebt – leuchtend gelb, darauf eine große, klare Schrift. Die Klinikleitung teilte ihm mit, sich diesen Morgen um neun bei Dr. Roosevelt zu melden. Dr. Roosevelt sollte sein therapeutischer Arzt in der Zeit seines Aufenthalts werden.
    Das Frühstück beschränkte er auf eine Tasse schwarzen Kaffee, und pünktlich um neun erschien er bei Dr. Roosevelt.
    Er stand ihm gegenüber, dem Mann, der ihn in nächster Zeit sehr genau beobachten würde, und der nichts merken durfte.
    Roosevelt war klein und übergewichtig, hatte aber ein sympathisches Erscheinungsbild. Sein schütteres Haar und die Gesichtsfalten verrieten ohne Umschweife sein fortgeschrittenes Alter. Er bat Dane mit freundlichen Willkommensgrüßen Platz vor seinem Schreibtisch zu nehmen. Dane kam der Aufforderung nach und schaute sich im Zimmer um. Es wies keinerlei Ähnlichkeit mit einem Untersuchungszimmer auf, eher mit dem eines Anwalts: massive, dunkle Holzmöbel, poliert und ordentlich geführt. Sie übten ein erdrückendes Gefühl auf Dane aus. Er bevorzugte helle Möbel.
    „Hallo, Mr. Galloway. Ich freue mich, Sie hier begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Leonard Roosevelt“, begann Dr. Roosevelt lächelnd. „Dr. Clark hat mir Ihre Geschichte erzählt. Das war eine schlimme Sache für Sie, aber Sie müssen wissen, Sie sind kein Einzelfall. Es laufen so viele Menschen herum, die schlimme Erlebnisse hatten. Wissen Sie, Sie können jedem nur vor den Kopf schauen, nicht hinein.“
    Wie wahr!
    „Ich werde Sie nicht untersuchen, wie es sonst die Regel ist. Ich weiß Bescheid über ihre Berührungsängste. Sie haben ja bei Dr. Clark schon eine umfangreiche Untersuchung hinter sich gebracht. Aber da sind andere Dinge, um die ich Sie bitten möchte: zum einen hier regelmäßig am Esstisch zu erscheinen, zum anderen möchte ich Sie gerne darüber informieren, dass wir eine offene Gesprächstherapie anbieten. Ich möchte Sie bitten, auch da einmal hereinzuschauen. Sie müssen nicht reden, nur zuhören. Das wäre ein guter Anfang. Messen Sie dem Wort Therapie hier nicht allzuviel Bedeutung bei. Es ist eine schöne Runde, ungezwungen und oft sehr lustig. Die Menschen, die sie besuchen, empfinden diese Treffen, sich mit anderen Menschen zu unterhalten, als Entspannung. Für Sie fände ich die Teilnahme ausgesprochen wichtig. Sie brauchen wieder Menschen um sich – andere als Ärzte. Und wieder die Ruhe, ihnen zuzuhören und sich vielleicht sogar mit ihnen zu unterhalten."
    Dane sah ihn ausdruckslos an. Dr. Roosevelt redete weiter: „Ich habe gelesen, dass Sie vor dem Vorfall ein ausgesprochen temperamentvoller Mensch waren. Sie werden wieder Ihre Mitte finden. Da bin ich ganz sicher. Der Info-Zettel mit Zeit und Ort zu diesen Treffen hängt vor meiner Tür. Sie haben übrigens viel Freizeit und jederzeit die Gelegenheit, sich an Angeboten zu beteiligen. Es steht Ihnen hier alles offen. Wer fragt, bekommt Antworten.“
    Wie wahr!
    „Ansonsten liegt Ihnen alles zu Füßen. Sie können an Gestaltungsarbeiten sowie sportlichen Aktivitäten und Meditation teilnehmen. Wäre für Sie sicherlich sehr empfehlenswert.“
    Dane entglitt ein gekünsteltes Lächeln.
    „Arbeiten Sie bitte an sich und mit uns zusammen. Ich bin jederzeit für Sie da. Sie können Briefe schreiben, telefonieren und faxen. Zweimal in der Woche fahren Taxen von hier in die Stadt. Abends um zehn Uhr schließen wir ab, aber es besteht ohne weiteres die Möglichkeit, sich zum längeren Ausgang bei uns zu melden. Es sind immer Pfleger oder Aufseher im Hause, die Ihnen bei späterem Eintreffen gerne aufschließen.“
     
    Aufseher! Wie im Knast, flüsterte das Loch.
     
    Dane nickte. Er starrte auf den dunklen Tisch und verlor die Konzentration. Erst nach geraumer Zeit bemerkte er, dass etwas nicht stimmte, dass Roosevelt nicht mehr redete. Er sah erschrocken auf und blickte in die beobachtenden Augen des Arztes, der sich räusperte: „Bitte, erlauben Sie mir eine sehr direkte Frage, Mr. Galloway.“
    Was wollte er fragen, dieser Arzt?
    „Hatten Sie eine schöne Kindheit?“
    Die Frage zerrte sich direkt in sein Seelenleben. Seine

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