Die Scheune (German Edition)
Feldern hatte begonnen. Man schnitt mit den ersten modernen Maschinen den Mais. Sie halfen wie ein Wunder bei der Ernte.
Samantha Gelton sah schon von weitem das Fahrrad des Postboten durch die Felder kommen. Geschwind säuberte sie ihre verschmutzten Hände an dem alten Kittel. Mr. Sield, der Postbote, winkte aus weiter Entfernung und hielt dabei etwas Weißes wedelnd zwischen seinen Fingern.
Mr. Sield mochte Samantha sehr. Ihre Schönheit schien weder durch die harte Feldarbeit noch durch ihr reifendes Alter zu vergehen. Dennoch konnte er über das selbstgewählte Schicksal dieser Frau nur bedauernd den Kopf schütteln. Er mochte ihren Mann nicht. Aber wer mochte schon Will Gelton? Sein ständig ungepflegtes Erscheinungsbild unterstrich seinen Mangel an Würde und Selbstachtung. Seine launischen Bemerkungen und seine Grobschnittigkeit hinterließen bei den anderen Farmern der Umgebung immer Missstimmung und Feindseligkeit.
„Ein Brief für Ihren Mann, Mrs. Gelton!“, rief Mr. Sield schon von weitem. Samantha nickte und lächelte ein bisschen. Das erste graue Haar drängte sich zwischen dem langen und dunkelbraunen Schopf und gab ihr ein weises Ansehen.
Dane liebte ihr langes und dickes Haar, das sie nachts immer zu einem Zopf zusammengeflochten trug. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie diesen Zopf immer tragen sollen. Es gab ihr etwas mädchenhaftes zurück. Doch tagsüber trug sie ihr Haar verknotet am Hinterkopf, weil es praktischer für die Arbeit sei, wie sie sagte.
Abends am Esstisch lag der Brief geöffnet neben Will Geltons Teller.
„Ich muss zur Armee – morgen“, verkündete Gelton kurz. Weder Samantha Gelton noch Dane schauten auf oder schenkten ihm einen Blick.
Am nächsten Morgens um sechs Uhr in der Früh war Will Gelton von der Farm verschwunden.
Dane begann zum ersten Mal in seinem Leben, einen gesunden Appetit zu entwickeln. Auch sein Gesicht erhielt zusehends mehr Farbe.
Das Leben alleine mit seiner Mutter bekam eine kolossale Wende, nicht jedoch ihr Schweigen, es wurde nur etwas entspannter.
Während Dane vormittags die Schule besuchte und nachmittags die Farm in Ordnung hielt, verdiente seine Mutter bis in die späten Abendstunden das Wirtschaftsgeld auf den Feldern.
Dane wurde ein guter Schüler, nahezu hervorragend. Seine schnelle Auffassungsgabe faszinierte seine Lehrer jeden Tag aufs Neue. Sie konnten die plötzliche Veränderung kaum fassen und erfreuten sich an seiner zunehmenden Lebendigkeit. Nachmittags, wenn er noch Zeit fand, half er seiner Mutter auf dem Feld, um ihr so zu einem kürzeren Arbeitstag zu verhelfen.
Viele Jahre später fand Dane durch seinen guten Schulabschluss eine Lehrstelle in einer Druckerei, eine der bestbezahlten Lehrstellen weit und breit – die der städtischen Druckerei BEAMAN. Das brachte eine gute finanzielle Veränderung für seine Mutter und ihn.
Die Worte längst vergangener Zeit, Zeit der Qualen, des Hasses und der Unmenschlichkeit brachten beide nie zur Sprache. Totgeschwiegen verdaute Dane seine Kindheit bis zu einer unendlichen Leere. Ab und zu spürte er die Wut, niemals Hilfe von seiner Mutter erfahren zu haben, aber seine tiefe Liebe zu ihr entschuldigte ihr Fehlverhalten.
Der alte Pickup seines Vaters ersetzte ab seinem 18. Lebensjahr die tägliche Fahrt mit dem Bus. Der Einkauf wurde leichter, was seine Mutter in vielerlei Hinsicht entlastete.
Mit Neunzehn konnte er in der Druckerei Beaman ein hervorragendes Wissen vorweisen und damit einen guten Verdienst nach Hause bringen.
Viele Jahre waren an ihnen vorübergegangen, und keiner der beiden, weder Samantha noch Dane Gelton, konnten sich erklären, wo all diese Zeit plötzlich geblieben war.
Aus dem Jungen war ein ansehnlicher Mann geworden, aus der Mutter eine ergraute, aber immer noch stolze und schöne Frau.
Dann kam der Tag, an dem seine Mutter von einer schrecklichen Diagnose aus der Routine ihres Alltags geworfen wurde. Der Arzt diagnostizierte ihr offene Tuberkulose. Dane war schockiert. Widerwillig unterzog auch er sich den Untersuchungen für den Fall, sich bei ihr angesteckt zu haben. Er war gesund, aber konfuse Gefühle holten ihn plötzlich wieder ein. Die über Jahre bestehende Harmonie zwischen ihm und seiner Mutter war mit der Diagnose der Krankheit dahingewichen. Sie musste für die weitere Behandlung in Quarantäne. Er war wieder alleine, mehr noch als je zuvor. Die Farm erschien ihm wie ein Geisterhaus. Die Nächte verbrachte er unten im
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