Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
beugte sich Sebastianus über den mit Zahlen bekritzelten Bogen Papyrus, auch wenn er keinen Grund sah, das Ergebnis der Berechnungen anzuzweifeln. Timonides benutzte ein kleines geeichtes Instrument, um den Winkel zwischen Horizont und Ekliptik zu bestimmen. Sein kostbarster Besitz war eine aus Gold kunstvoll geschmiedete Peilscheibe mit eingeprägten Tierkreissymbolen und Gradeinteilungen. Dem Vernehmen nach hatte sie einst Alexander dem Großen gehört. Beim Erstellen eines Horoskops konnte damit so gut wie kein Fehler auftreten.
    Dennoch war Sebastianus überrascht. »Was hat diese junge Frau mit uns zu tun?«
    Timonides vermied es, Sebastianus anzuschauen. »Dafür gibt es eine logische Erklärung, Meister. Wegen meiner Schmerzen und meines Hungers war ich nicht in der Lage, ein Horoskop zu erstellen. Daraufhin schickten die Götter das Mädchen, um mich zu heilen und sattzumachen. Jetzt kann ich ihnen wieder dienen. Weshalb das junge Mädchen hier ist, hat einen Grund, den nur die Götter kennen.«
    Dieser Logik hatte Sebastianus nichts entgegenzusetzen. Es war auch nicht zu leugnen, dass das Mädchen etwas vollbracht hatte, wozu Roms Ärzte nicht imstande gewesen waren. Vielleicht bedeutete sie ja wirklich einen Gewinn für die Karawane. Aber wie sollte sie reisen? Wo sollte sie schlafen? Wie konnte er ständig ein wachsames Auge auf seine Männer haben?
    »Ich bin in Eile«, sagte Ulrika. »Ich muss rasch vorankommen, und dafür ist deine Karawane zu groß. Sie würde zu lange brauchen.«
    »Wie es der Zufall will«, warf Timonides rasch ein, »ist mein Meister ebenfalls in Eile und muss Germania Inferior so schnell wie möglich erreichen. Es liegt auch in unserem Interesse, die Strecke zügig zu bewältigen.«
    Da er das Zögern seines Herrn bemerkte, fuhr er fort: »Meister, du weißt doch aus Erfahrung, dass in den vor uns liegenden Städten bestimmt eine Familie oder eine Gruppe Frauen mitziehen will. Das war bisher immer so. Die junge Frau wird also nur für kurze Zeit unbeaufsichtigt bleiben.«
    Sebastianus überlegte hin und her, und da er noch nie die Gebote der Sterne in Frage gestellt hatte, sagte er schließlich, was Timonides erwartet hatte: »Also gut.«
    Geschafft! Das Mädchen kam mit, und Timonides war auf ewig von Problemen der Speicheldrüse befreit. Nur mit Mühe konnte er seine Erleichterung unterdrücken.
    Sie trafen ein Abkommen. Ein Zipfel des Schleiers über ihren Fingern, tauschte Ulrika mit Sebastianus einen Händedruck – und unvermittelt überkam sie eine Vision: Kleine helle Lichter explodierten am schwarzen Himmel und ergossen sich wie ein Regenschauer aus goldenen Tupfen auf ein weites, grasbewachsenes Tal. Die Vision war so deutlich, so lebensecht, dass Ulrika einen Moment lang wie gebannt war.
    Das Bild wurde abgelöst von dem einer atemberaubenden Landschaft mit steilen grünen Hügeln und einer sturmumtosten Felsküste am Meer. Obwohl sie nie dort gewesen war, wusste sie, dass dieses Land Galicien war, die Heimat dieses Mannes, dicht bewaldet im Inneren und zerklüftet entlang der Küste, ein Land, das sein Volk Land der tausend Flüsse nannte – und dennoch wurde er wehmütig, wenn er an Galicien dachte. Er hat Heimweh, überlegte sie, kann aber aus irgendwelchen Gründen nicht dorthin zurück. Sebastianus Gallus war heimatlos.
    Als Gallus nach ihren Bündeln griff und sie zu einer Reihe überdachter Pferdewagen führte, atmete sie auf. Sie war auf dem Weg nach Norden, und schon bald würde sie ihren Vater kennenlernen. Aber dann überfiel Ulrika ein Gedanke, der ihr unvermittelt ein Frösteln über den Rücken jagte: Wenn sich ihre Krankheit wirklich wieder eingestellt hatte, welch beängstigende Visionen und Gefühle erwarteten sie dann auf dieser Reise ins Unbekannte?

Zweites Buch Germanien

8
    »Tretet beiseite, im Namen Roms!«
    Der Fremde, der da Zutritt begehrte, war Ulrika unbekannt. »Wer seid ihr?«
    »Kundschafter des Kaisers Claudius. Du versteckst jemanden da drin.«
    »Ich verstecke niemanden. Wir sind eine Handelskarawane und bringen Getreide in die nördlichen Provinzen. Sprich mit Sebastianus Gallus, er ist der Anführer dieser Karawane. Du kannst ihn nicht verfehlen, er ist hochgewachsen, hat bronzefarbenes Haar und eine tiefe, gebieterische Stimme. Er wird dir sofort auffallen. Verheiratet ist er nicht, eigentlich unverständlich, denn er sieht sehr gut aus, sogar …«
    Ulrika schlug die Augen auf. Sie stellte fest, dass sie in ihrem Feldbett lag

Weitere Kostenlose Bücher