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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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dicken Sandalen herumtrampelten, wo blieb Sebastianus? Sein Zelt lag dunkel und wie üblich verwaist da. Einmal mehr hatte er nicht in seinem eigenen Bett geschlafen.
    Wohin geht er Nacht für Nacht?
    Auf der belebten Handelsroute von Rom nach Massilia und von Lugdunum an den Rhein hatte Sebastianus Gallus mit Kaufleuten, Händlern und Reisenden Gespräche geführt, hatte sie an sein Feuer gebeten und zum Essen eingeladen. Bei jedem Halt wurde Handel getrieben, gute Geschäfte abgeschlossen. Dann wurde der Abakus herausgeholt, Münzen wurden gezählt, Körbe oder Bündel mit Waren wechselten den Besitzer, alles unter Gallus’ wachsamem Auge. War ein Geschäftsabschluss getätigt, nahm er ein Bad, zog saubere Kleidung an und verließ, meist mit Geschenken versehen, das Lager, um ins Dorf oder in die Stadt zu gehen und erst am nächsten Morgen zurückzukommen.
    Die Frage, was er trieb, wenn er sich vom Lager entfernte, war nur eine von vielen, über die sich Ulrika den Kopf zerbrach. Nur über eins war sie sich im Klaren: dass ihm die Sterne sehr viel bedeuteten.
    Wie sie in Erfahrung gebracht hatte, war Sebastianus Gallus nicht im herkömmlichen Sinn religiös. Wenn sie ein Lager aufschlugen, errichtete er nicht jedes Mal einen kleinen Altar, und Opfer in Form von Nahrung und Wein für die Götter brachte er auch nicht dar. Stattdessen befragte er mit Hilfe von Timonides die Sterne.
    Auch der goldene Armreif an seinem Handgelenk weckte Ulrikas Neugier. Ein erlesenes Schmuckstück war das, kunstvoll verziert mit einem verschlungenen Muster. Auffallend daran war der eher schlichte Stein in der Mitte. Er war weder besonders schön, noch schien er irgendwie wertvoll zu sein – ein Stein, wie man ihn auf jeder Straße fand. Was er wohl zu bedeuten hatte?
    Obwohl die Legionäre jetzt wieder näherkamen und Timonides sichtlich nervös wurde, dachte Ulrika an die Menschen, denen sie unterwegs begegnet waren. Freie Germanen waren das gewesen, keine Sklaven. Sie bewirtschafteten ihre eigenen Bauernhöfe oder übten ein Handwerk aus und hatten dem Handelszug ihre Erzeugnisse zum Kauf angeboten. Es war beeindruckend gewesen, diese Menschen in ihrer angestammten Umgebung zu erleben, in ihren Wäldern, inmitten sanft gewellter Hügel und dunstverschleierter grüner Täler. Frauen in langen Röcken und Blusen, das Haar zu Zöpfen geflochten; Männer in Beinkleidern und Tunika, mit langem Haar und fast ausnahmslos mit Bart, was Ulrika daran erinnerte, dass »barbarisch« ja eigentlich »bärtig« bedeutete und man erst in jüngster Zeit unter »barbarisch« einen ungehobelten, unzivilisierten Menschen verstand.
    Ein Zittern überlief sie, wenn sie daran dachte, wie nah sie womöglich schon dem Landstrich war, in dem sich ihr Vater aufhielt. Vor fünfundvierzig Jahren waren nicht weit von hier drei Legionen unter dem Kommando des Quinctilius Varus von Arminius, ihrem Großvater, besiegt worden. Was wohl ihre Mutter davon hielt, dass sie sich so ganz ohne Begleitung in das Land ihrer Väter aufgemacht hatte? Dass sie ihr nicht Lebewohl gesagt hatte, bekümmerte Ulrika, ebenso wie der Gedanke, dass die Krankheit, unter der sie seit ihrer Kindheit litt, wieder machtvoll ausgebrochen war. Würde sie wohlmöglich für immer von Visionen heimgesucht, die zu wirklichkeitsnah, zu lebendig waren, um als Träume abgetan zu werden?
    Als zwei Legionäre sich ihrem Zelt näherten, blickte sie ihnen wachsam entgegen.
    Sie wusste um das politische Klima in dieser Gegend. Unter der kaiserlichen
pax romana
hatten zahlreiche germanische Stämme einträchtig mit Rom zusammengearbeitet und sich offenbar mit kaiserlichen Festungen und der Anwesenheit römischer Garnisonen auf ihrem angestammten Territorium abgefunden. Derart friedlich war es in dieser Region zugegangen, dass Claudius es als zweckmäßiger erachtet hatte, überflüssig gewordene Truppen vom Rhein abzuziehen und ihnen eine neue Aufgabe zuzuteilen: in Britannien einzufallen. Jetzt aber wiegelte ein unbekannter germanischer Krieger die Stämme auf und führte sie zusammen, um Rom die Stirn zu bieten.
    Ulrika war sich sicher, dass es sich bei dem Aufrührer um ihren Vater handelte.
    Sie zog den Schal fest um ihre Schultern und stellte sich in kerzengerader Haltung den Fremden. Sie würde sie nicht ihr Zelt durchsuchen lassen. Sie hatte zwar nichts zu verbergen, aber hier ging es ums Prinzip.
     
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Lagers, am Rande der Lichtung, wo der westliche Wald

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