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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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zurückkehrte, sogar noch vor dem Frühstück. Sobald Sebastianus nach ihm rief, würde Timonides ihm das fertige Horoskop vorlegen.
    Als er sich über seine Karten beugte, um dann im Licht einer Lampe mit seinen Instrumenten zu hantieren und Gleichungen auf einen Schnipsel Papyrus zu kritzeln, geschah dies nicht ohne die Gewissensbisse, die ihn wegen der Schummeleien in den vergangenen Wochen plagten. Auch wenn er sie als eher harmlos einstufte, hatte er niemals vorher sein heiliges Amt als Astrologe eigennützig missbraucht. Aber es war ihm wichtig gewesen, dass das junge Mädchen bei ihnen blieb, für den Fall, dass seine Mundhöhle wieder anschwoll oder ihn eine andere Krankheit überkam. Um sein Gewissen zu beruhigen, redete er sich ein, dass er in all den Jahren im Dienste der Götter und Sterne sie niemals um eine Gegenleistung gebeten hatte. Bestimmt würden sie ihm diesen kleinen Gunstbeweis für treue Dienste nicht verwehren. Wenn da nur nicht diese Gewissensbisse wären …
    Lähmendes Entsetzen. Irgendetwas stimmte nicht.
    Er überprüfte seine Aufzeichnungen, legte nochmals den Übertragungswinkel an, vergewisserte sich der Grade und Häuser und Aszendenten. Und spürte, wie ihm das Blut stockte. Großer Zeus. Es bestand kein Zweifel. Gestern war das Horoskop seines Herrn klar und ruhig wie ein Sommertag gewesen. Und jetzt, völlig unerwartet …
    Eine Katastrophe stand bevor. Etwas Großes und Furchterregendes, das vorher nicht abzusehen gewesen war. Timonides fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Warum jetzt? Was hatte sich verändert? Hing das mit den Soldaten zusammen, die das Lager durchsucht hatten?
    Oder ist das die Strafe dafür, dass ich bei der Deutung der Sterne gemogelt habe?
    Timonides brach der Schweiß aus. Wenn er diese neue Deutung verkündete, würde Sebastianus zweifellos eine Erklärung verlangen, warum sich sein Horoskop plötzlich derart verändert hatte. Und wenn Timonides ihm daraufhin gestand, dass er damals in Rom bei seiner Deutung, das Mädchen müsse mitkommen, gelogen hatte, wie würde Sebastianus ihn bestrafen? Um sich selbst machte sich Timonides keine Sorgen – als alter Mann, der ein schönes Leben hinter sich hatte, würde er so gut wie jede Strafe akzeptieren –, sondern vielmehr um Nestor. Seinem Sohn zuliebe musste ihm sein Meister gewogen bleiben. Der ungeschlachte Nestor mit seinem Pfannkuchengesicht, seiner engelsgleichen Friedfertigkeit und seiner kindlichen Arglosigkeit wäre hilflos ohne ihn.
    Timonides rang mit seinem Gewissen, war sich unschlüssig.
    Damals, als ihm die Hebamme mit sichtlicher Abscheu das Neugeborene in die Arme gelegt hatte und Schwestern und Cousinen übereinkamen, es sei wohl das Beste für das Kind, es gleich auszusetzen, hätte Timonides um ein Haar zugestimmt – bis er das zarte Fleisch gespürt hatte, die winzigen Knochen, die völlige Hilflosigkeit dieser kleinen Kreatur. Das Herz hatte sich ihm im Leibe umgedreht, und augenblicklich stand für ihn fest, dass er seinem Sohn nicht antun würde, was ihm selbst angetan worden war. Er hatte das Kind behalten, das ihm und seiner Frau geschenkt worden war, zugegeben überraschenderweise, denn Damaris hatte gemeint, das gebärfähige Alter bereits überschritten zu haben. Als sie starb, war Nestor erst zehn, und wieder schwor sich Timonides, für den Jungen zu sorgen, koste es, was es wolle.
    Jetzt, zwanzig Jahre später, kam für Timonides die Bewährungsprobe. Wie sollte er seinem Meister die Wahrheit sagen? Eine riesige Katastrophe drohte, weil sein treuer Astrologe den Frevel begangen hatte, Horoskope zu verfälschen. Nestor zuliebe musste sich Timonides mit einer weiteren Lüge aus dem Sumpf ziehen.
    Er strich sich über den Bauch – warum nur hatte er sein Lammkotelett so nachhaltig in Knoblauchsoße getunkt! – und machte sich auf, seinem Meister das Horoskop darzulegen.
    Sebastianus saß an einem Tisch vor seinem Zelt, in dem er nicht zu nächtigen pflegte, vor sich eine ausgebreitete Schriftrolle, auf der Einnahmen und Ausgaben verzeichnet waren, in der Hand den unentbehrlichen Abakus. Der junge Galicier duftete nach Seife. Er hatte eine frische weiße Tunika übergestreift, den gestutzten Bart in Form gebracht, Hände und Füße geschrubbt. Timonides wusste, sobald Sebastianus seinen blauen Umhang zuhakte, war er zum Aufbruch bereit, zur letzten Etappe der Reise.
    »Die Sterne haben heute eine neue Botschaft für dich, Meister. Ein großes Ereignis steht dir

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