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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Irgendwo stöhnte jemand. Gab es hier noch Überlebende?
    Sie folgte dem schwachen Wehklagen und fand einen germanischen Krieger. Er lag schrecklich verrenkt da; die obere Hälfte seines Körpers in Rückenlage, die Beine so verdreht wie vom Rumpf weggeknickt. Seine Augen standen offen. Vor Schreck blieb Ulrika wie angewurzelt stehen, um sich dann mit angehaltenem Atem über den sterbenden Krieger zu beugen.
    Sein Mund öffnete sich leicht, sein bärtiges Kinn bewegte sich. Er flüsterte etwas. Er wollte, dass sie ihn tötete, ihn von seinen Qualen erlöste.
    Was verlangte er da von ihr? Von ihr, einer jungen Frau, die sich in dieses Reich des Grauens verirrt hatte? Seine Augen flehten sie an, es zu Ende zu bringen.
    Ulrika zog ihren Dolch aus der Scheide, umfasste ihn mit dem Mut der Verzweiflung, hob die Waffe bis über den Kopf und stieß ihm mit einem erstickten Schrei die Klinge in die Brust. Der Glanz in seinen noch immer geöffneten Augen erlosch, er hörte auf zu atmen.
    Ulrika taumelte zurück. Schluchzend und tränenblind schaute sie über das Schlachtfeld. Auf die Hunderte von Toten. Befand sich ihr Vater unter ihnen?
    Wie sollte sie den Krieger, dessen Name Wulf war, finden? Alles, was sie sah, waren an Bäumen aufgespießte verwesende Leichname. Nun stieß sie auch auf die Überreste von Frauen, die vergewaltigt worden waren – von Frauen, die ihren Ehemännern und Söhnen in die Schlacht gefolgt waren – und in den Tod.
    Ulrika stand regungslos, fassungslos da. Sie hatte den Bootsführer, der sie über den Rhein gebracht hatte, missverstanden. Nicht von einer bevorstehenden Schlacht hatte er gesprochen, sondern vor einer, die stattgefunden hatte. Vatinius war nicht eben erst mit seinen Legionen in Colonia eingetroffen – er war bereits in die Schlacht gezogen. Und er hatte gesiegt.
    Ich bin zu spät gekommen! Ich habe sie nicht retten können.
    Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie durch die Reihen gefallener Krieger schritt. »Es tut mir leid«, flüsterte sie ihnen zu. »Es tut mir unendlich leid. Bitte verzeiht mir.«
    Die Sonne versank hinter die hohen Föhren, warf düstere Schatten über das Schlachtfeld. Unheimliche Stille breitete sich mit einem Mal aus. Als Ulrika den Blick erneut über die vielen Leichen schweifen ließ, fuhr ihr ein merkwürdiges Frösteln durch Mark und Bein. Das ist der Tod, schoss es ihr durch den Kopf. Er kommt, um meine Seele zu rauben.
    Plötzlich wurde die Stille von einem lauten Knacken durchbrochen. Ulrika wirbelte herum, riss die Augen auf, als sie merkte, dass sich im Wald etwas bewegte – Gestalten, die sich unter den Bäumen abzeichneten. Kalter Schweiß brach ihr aus. Die Geister der Toten!
    Jetzt traten Gestalten in Weiß lautlos aus dem Wald – hochgewachsen, mit langem, wehendem Haar. Ulrika klopfte das Herz bis zum Halse. Panik erfasste sie. Was sollte sie tun? Als die Gestalten hinaus auf die Lichtung traten, stockte ihr der Atem. Das waren keine Geister. Es waren Frauen. Wortlos bewegten sie sich zwischen den Toten, beugten sich über sie, richteten sich wieder auf, deuteten zum Himmel. Was hatte das zu bedeuten?
    Zwei der Gestalten hielten jetzt in ihrem Tun inne, schauten zu Ulrika und kamen dann auf sie zu – zwei eindrucksvoll anzusehende Frauen mit langen Gliedmaßen, gekleidet in lange Röcke und bunte Kittel, die hellen, blonden Haare zu Zöpfen gebändigt. Ulrika erschienen ihre Gesichter von ebenmäßiger Schönheit. Sie ahnte, wer sie waren: Schlacht- oder Schildjungfrauen, in der ihnen eigenen Sprache Walküren genannt, die im Gefolge des Göttervaters Odin die auf dem Schlachtfeld ehrenvoll Gefallenen auswählten, auf dass sie in Walhall eingingen, um dort auf ewig zu leben.
    Während sich die beiden Frauen näherten, schritten sie immer wieder über gefallene Krieger, beugten sich über leblose Augen oder eine kalte Stirn, um sie zu streicheln, murmelnd, leise singend, flüsternd – was nur? –, und im Näherkommen veränderte sich ihr Erscheinungsbild. Ulrika sah, dass es sich keineswegs um junge und kräftige, sondern um alte Frauen handelte, mit zu einer Krone geschlungenen weißen Zöpfen, die greisenhaften Körper in gegürtete Tuniken und lange Röcke gehüllt, grobe Schals um die Schultern. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters schritten sie aufrecht daher. Mochten auch die Jahre ihre Spuren an ihnen hinterlassen haben, ihr Stolz war ungebrochen.
    Als die Erste der beiden bei Ulrika anlangte, war um ihren Kopf ein

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