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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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wunderschöner silberner Reif zu erkennen, um den sich silberne Blätter und Stängel rankten. Auf der Stirn umschlossen zwei Eichenblätter eine kleine silberne Eule, die auf einem eiförmigen fahlen Mondstein hockte, als brüte sie ihn gerade aus.
    Die beiden alten Frauen musterten Ulrika eingehend. Als die zweite das Odinskreuz auf dem Busen der jungen Fremden bemerkte, deutete sie darauf und murmelte etwas, während die andere die Lippen schürzte. Milchige blaue Augen unter weißen Brauen richteten sich auf Ulrika. »Hast du dich verirrt, Tochter?«
    Diesen Dialekt verstand Ulrika. »Ich bin auf der Suche nach …« Sie bekam kaum Luft.
    »Du solltest dich nicht hier aufhalten«, sagte die Alte leise, »hier, zwischen all den Toten.«
    »Ich suche verzweifelt …«
    Die alte Frau, an der die markanten Backenknochen auffielen, das ausgeprägte Kinn sowie die schmale, wie der Schnabel eines Adlers geformte Nase, musste in ihrer Blütezeit sehr beeindruckend gewesen sein. Jetzt war das einstmals junge Fleisch welk geworden, sie wirkte ausgezehrt; dennoch gingen von ihr Kraft und Stärke aus. Sie fasste nach Ulrikas Arm. »Du bist müde. Komm mit, Tochter. Weg von all diesen Toten.«
    Endlich fand Ulrika den Atem, um zu sprechen. »Ich bin auf der Suche nach Wulf, dem Sohn von Arminius. Er ist mein Vater.«
    Die Alte schüttelte bedauernd den Kopf. »Wulf ist tot«, sagte sie. »Seine ganze Familie. Komm jetzt, du musst etwas essen und dich ausruhen.«
    Die beiden betagten Frauen bedeuteten Ulrika, ihnen zu folgen. Als sie auf ihrem Weg über Leichen steigen mussten, schürzten sie die Röcke, und dann konnte Ulrika, die schweigend, ihr Bündel auf dem Rücken und nur einen Fuß durch eine Sandale geschützt, hinter ihnen über den blutgetränkten Boden herging, einen Blick auf pelzgefütterte Lederstiefel erhaschen.
    Am Rand der Lichtung erstreckte sich verkohlte Erde. Hier hatten die Römer, als sie mit Gefangenen und erbeuteten Waffen den Rückzug antraten, Feuer gelegt. Ihre eigenen Gefallenen, mutmaßte Ulrika, hatten sie dagegen unweit von hier in Massengräbern würdig bestattet, mit Gebeten und Opfergaben für die Götter.
    Die drei Frauen gingen auf dem bis auf den letzten Grashalm versengten Erdreich weiter, bis sie die Ruinen eines niedergebrannten Dorfs erreichten. Von einst festgefügten Holzbauten waren nur noch verkohlte Fundamente zu erkennen. Der beißende Rauch von noch glimmender Kohle, von qualmendem Stroh und Holz setzte Ulrikas Augen zu. Einstmals prächtige Föhren und Eichen standen jetzt schwarz und verkrüppelt, krumm und schief. Dazu dieser unerträgliche Gestank.
    Die Alte mit dem Silberreif blieb vor etwas stehen, das wie eine Anhäufung von Gras und Zweigen aussah, sich aber als notdürftig errichtete Unterkunft erwies. »Da drinnen findest du zu essen und zu trinken.«
    Tief geduckt betrat Ulrika die Hütte. Dunkel war es hier. Erst als sich ihre Augen darauf eingestellt hatten, machte sie einen nackten, gestampften Fußboden aus sowie Felle, lederne Wassersäcke, geflochtene Körbe mit Waldfrüchten und Gemüse.
    Obwohl der Hunger sie peinigte, beherrschte sie sich und aß nur so viel wie unbedingt nötig von dem, was vermutlich die letzten Vorräte der alten Frauen waren.
    »Wer seid ihr?«, fragte sie die beiden, die sich neben sie gehockt hatten.
    »Wir sind Hüterinnen eines heiligen Hains, seit unzähligen Generationen schon, seit die Göttin Freia ihre rotgoldenen Tränen unter den uralten Eichen vergoss. Jetzt aber musst du schlafen. Wir dagegen werden weiter unserer Pflicht nachkommen und unsere Söhne und Männer bestatten.«
    »Ja«, sagte Ulrika erschöpft und streckte sich auf einer Decke aus Bärenfell aus. »Ich bin furchtbar müde …«
    Wie lange sie geschlafen hatte, wusste sie nicht, sie merkte beim Erwachen nur, dass inzwischen die Nacht hereingebrochen war. Die beiden Hüterinnen des heiligen Hains hatten Fackeln entzündet und rührten abwechselnd in einem Kochtopf herum. Als Ulrika sich mühsam aufsetzte – jeder Knochen, jeder Muskel schmerzte –, trat die Alte mit dem silbernen Reif zu ihr. »Hier«, sagte sie lächelnd, »eine Pilzsuppe. Sie wird dich stärken.«
    Ulrika rieb sich verwundert die Augen, denn die beiden alten Frauen schienen wieder jung zu werden. Im flackernden Licht der Fackeln glättete sich ihre runzlige Haut, in die trüben Augen trat Glanz, ihr weißes Haar leuchtete auf wundersame Weise blond auf.
    »Warum bist du hergekommen?«,

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