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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Weges wird dir nichts geschehen, meine Tochter, denn die Geister dieses Flusses werden dich beschützen.«
    Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme holte die Hüterin des Hains aus einem ledernen Beutel an ihrem Gürtel eine Handvoll flacher, wiewohl unterschiedlich geformter Steine, die jeweils mit einem Symbol verziert waren. Diese Steine warf sie auf den Boden, und während Vogelgezwitscher die Luft erfüllte, studierte sie die Symbole eine geraume Weile und mit so gerunzelter Stirn, dass sich die weißen Brauen zusammenzogen. Endlich richtete sie sich wieder auf und verkündete: »Die Runen sagen, dass du von deinem dir bestimmten Pfad abgekommen bist. Du musst zu seinem Anfang zurück und ihn dann erneut beschreiten. Diesmal wirst du ihn getreu deinem Schicksal gehen.«
    Ulrika blickte auf die flachen Steine. »Wo beginnt dieser Weg?«
    »An dem Ort, wo du gezeugt wurdest, denn dort hat dein Leben begonnen.«
    »Aber das war in Persien, einem riesigen Land! Wie soll ich dort den Ort meiner Zeugung ausfindig machen?«
    »Du musst es tun. Dort wirst du erkennen, was dir bestimmt ist.«
    So verwirrt Ulrika auch war, dankte sie dennoch den beiden Alten und brach in südlicher Richtung auf.
    Die Hüterinnen des Grals sahen sie ziehen, dann legte die, die sich bisher in Schweigen gehüllt hatte, ihre Hand auf den Arm der anderen und sagte: »Schwester, wie gelingt es dir nur, derart ruhig zu bleiben?«
    »Das bin ich durchaus nicht, Hilda. Ich hätte sie schrecklich gern in die Arme geschlossen, aber ihretwegen musste ich mich zurückhalten.«
    »Wusste Wulf, dass sie kommt?«
    »Wulf weiß nicht einmal, dass es sie gibt.«
    Sie beobachteten, wie Ulrika zwischen den verkohlten Bäumen verschwand. »Warum hast du sie belogen?«, forschte die bislang Schweigsame weiter. »Warum hast du ihr nicht die Wahrheit gesagt?«
    Aber diese Wahrheit war ein großes Geheimnis: Arminius hatte sich zwar nach dem Tod seiner Frau Thusnelda und dem gemeinsamen einzigen Sohn nie wieder verehelicht. Aber als er in seinem Kummer um deren Verlust den heiligen Hain der Göttin der rotgoldenen Tränen aufsuchte, hatte er Trost in den Armen der schönen Priesterin gefunden. Dieser Vereinigung war Wulf entsprungen.
    »Hättest du ihr nicht wenigstens sagen können, dass ihr Vater lebt?«, fragte Hilda leise.
    Blassblaue Augen füllten sich mit Tränen. »Meiner Enkelin ist ein großes und eigenartiges Schicksal beschieden. Wenn sie erfahren hätte, dass ihr Vater noch lebt, wäre sie geblieben, um ihn zu suchen. Und dann könnte sie niemals den ihr bestimmten Weg gehen. Im Glauben daran, dass er tot ist, wird sie dem richtigen Pfad folgen.«
    »Wird sie zu uns zurückkommen?«
    »Eines Tages vielleicht. Wenn es die Götter so wollen«, sagte die ehrwürdige Seherin vom Stamm der Cherusker, die Ulrika hieß und nach der ihre Enkelin benannt war.

10
    Der Tag neigte sich, das Dunkel des Waldes wirkte immer bedrohlicher.
    Auf die Weisung der alten Frau hin war Ulrika dem kleinen Wasserlauf gefolgt, der jedoch nirgends hinzuführen schien. Wie weit war es bis zum Rhein?
    Sie trug schwer an ihrem Bündel, während sich der Bach ziellos zwischen Föhren und Eichen durch ein schmales Tal schlängelte, dessen felsige Ränder mit Höhlen durchsetzt waren. Bei jedem Schritt auf dem Waldboden fühlte sie sich beobachtet.
    Ein Knacken im Unterholz!
    Mit angehaltenem Atem blieb sie stehen, lauschte.
    Erneutes Knacken!
    Schritte. Rascheln. Zu laut für ein Tier.
    Etwas – oder jemand – folgte ihr.
    Mit weit aufgerissenen Augen spähte sie in die Dämmerung. Schatten nahmen furchteinflößende Gestalt an, schienen sich zu bewegen. Das Gurgeln des kleinen Flusslaufs verebbte, andere Geräusche wurden lauter – der Schrei eines Habichts, der Wind in den Baumkronen und immer wieder das Rascheln im Unterholz.
    Ulrika überlegte kurz, ob sie vor dem, was immer ihr auf den Fersen sein mochte, weglaufen sollte, dann aber wandte sie sich um in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Sie machte Umrisse aus, die sich bewegten – eindeutig die von Männern. Der Erste, der jetzt auf die kleine Lichtung am Fluss hinaustrat, war hochgewachsen und bärtig und trug eine gegürtete Tunika und lederne Beinkleider. Angesichts seiner Kriegsbemalung und seines verfilzten langen Haars sah sich Ulrika in panischer Angst nach einem Versteck um.
    Vier weitere Männer traten unter den Eichen und Föhren ins Freie, mit gezückten Schwertern und grimmigen Mienen. Bei einem war

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