Die Schicksalsleserin
die Bresche. Der Strom der Osmanen wollte nicht abreißen, nur mühsam abgewehrt von den Verteidigern. Was brachte es noch, den Mann hier zu retten, wenn die Mauer doch eh gleich fallen würde? Lucas zwang sich, nicht darüber nachzudenken. »Ja, doch«, gab Lucas zurück. »Träger!«, rief er noch einmal. Dann fasste er den Grafen unter der Schulter und half ihm auf das andere Bein. Der Alte hielt sich an seinem Wams fest. Endlich kam ein zweiter Mann, dann trugen sie den Grafen gen Augustinerkloster. Lucas fühlte sich erst wieder halbwegs sicher, als sie die schweren Klostertüren hinter sich geschlossen hatten.
Doch wenn er gehofft hatte, den Lärm des Krieges im Innern hinter sich lassen zu können, dann hatte er sich geirrt. Refektorium, Dormitorium, sogar das Kapitel - jeder verfügbare Platz war mit Verwundeten belegt. Das Schreien und Stöhnen war schlimmer als das Kampfgetümmel und die Hektik der Physici und Helfer nicht weniger groß als die Hast der Bautrupps draußen.
Auf Lucas’ Rufe hin, er habe Graf Salm mit einer Wunde am
Bein gebracht, eilten die Menschen herbei. Drei Helfer - einer davon Magister Vilenius - nahmen ihm den Feldhauptmann ab und legten ihn auf einen Tisch. Zwei Mönche mit blutbefleckten Schürzen machten sich alsgleich an die Versorgung der Wunde. Lucas bekam einen anerkennenden Blick für den festigenden Verband und den Riemen, doch als der Streifen des Mantels einmal ab war, sahen beide Mönche entsetzt drein.
»Flickt mich einfach wieder zusammen!«, keuchte der alte Graf Salm. Doch seine Finger bohrten sich vor Schmerz in den Oberschenkel.
»Da können wir nicht viel tun, Herr«, erwiderte der ältere Mönch mit besorgtem Blick. »Das Bein ist zertrümmert. Ihr werdet da nicht wieder hinausgehen können.«
Doch Graf Salm gab nicht leicht auf. Er schnappte sich den Mönch beim Stoff seines Habits. »Ich muss da raus!«, knurrte er den Mann an. »Sieh zu, dass ich wieder gehen kann!«
Lucas trat vor und legte dem Grafen, der die Wunde selbst vermutlich noch gar nicht gesehen hatte, die Hand auf den Arm. »Graf Salm«, sprach er leise. »Ihr werdet vermutlich niemals wieder gehen können.« Er räusperte sich. »Zumindest nicht auf diesem Bein.«
»Ihr werdet es nicht abnehmen«, befahl der Alte mit funkelndem Blick. »Bringt es wieder in Ordnung!«
Die beiden Mönche tauschten mit Lucas einen Blick. »Tut, was er sagt«, bat der Student. Die Dominikaner nickten. Gerade als sie sich ans Werk machen wollten, ging die Tür auf.
»Graf Salm!«, rief jemand. »Ist der Feldhauptmann hier?« Es war Wilhelm Hofer.
»Was?«, fragte Graf Salm zwischen den Zähnen hindurch.
»Die Minen, Herr«, der große Mann knetete seine Mütze zwischen den Fingern. »Ihr müsst da etwas wissen! Ich bin bei den Bergknappen, wir suchen die Pulverkammern.«
»Es werden welche da sein. Was sonst hat die Breschen in meine verdammte Mauer geblasen?«, stieß Graf Salm hervor.
Hofer erbleichte. »Wir geben uns alle Mühe, Herr.«
»Was gibt es denn nun?«, fragte Lucas. Der Graf würde mit den Schmerzen nicht mehr lange aushalten.
»Die Bergknappen sagen, dass wir mehr Männer brauchen. Wir sind einfach nicht genug.«
Graf Salm nickte. »Nehmt Euch vier Rotten Landsknechte. Sagt von Reischach …«, er presste die Kiefer aufeinander, und griff sich ans Bein, »sagt, es kommt von mir!«
»Ja, Herr«, sagte Hofer. »Da ist noch etwas.«
»Was?«, schnarrte der Graf.
»Wir haben einen Gang gefunden, der unter der Mauer durchging. Wir haben ihn zum Einsturz gebracht, bevor sie damit Schaden anrichten konnten.« Hofers besorgter Blick glitt von Lucas zum Grafen und zurück. »Aber, Herr … der Gang zielte auf die Burg. Oder zum Sammelplatz vor Sankt Michael daneben.«
Selbst der Graf hielt bei dieser Nachricht vor Schrecken still. »Verdammt«, presste er dann hervor.
»Herr, die Osmanen … Sie wissen verdammt genau, wo sie hinmüssen.«
»Zufall?«, fragte Salm.
»Die Bergknappen sagen, nein, Herr«, murmelte Hofer.
»Was soll das heißen?«, keuchte der Alte.
»Ich weiß nicht, Herr. Gibt es Pläne? Maße?«
Lucas’ Herz setzte einen Schlag aus.
»Sag Hardegg, er soll das untersuchen«, stöhnte Graf Salm.
»Und jetzt macht, dass ihr hier rauskommt«, bat der ältere Mönch. »Wenn dem Grafen das Bein nicht am Leibe abfaulen soll, dann müssen wir jetzt etwas für ihn tun.«
Lucas hörte die Männer kaum noch. Ihm vor Augen stand das
Trionfi-Spiel, das er doch sicher in Madelins
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