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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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zusammen.
    »Alle?«
    Madelin hörte den besorgten Unterton in seiner Stimme. »Kanntest du auch jemanden, der mitgezogen ist?«
    »Ja. Ein Freund, Heinrich.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Madelin. »Aber manche mögen geflohen sein.«

    »Das will ich hoffen«, erwiderte Lucas. »Denn der Freund war der Sohn Graf Hardeggs.«
    Jetzt fühlte Madelin, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich. »Heinrich zu Hardegg?«
    »Stimmt, ja!«, entfuhr es Lucas. »Du bist mit ihm verwandt.«
    »Nicht wirklich. Anna ist es.« Sie seufzte. »Aber inzwischen glaube ich, dass man sich seine Familie eben doch nur teilweise aussuchen kann.«
    »Kann man das?« Lucas’ Stimme klang müde.
    »Aber sicher! Familie liegt nicht nur im Blut. Sie liegt auch hier.« Madelin legte ihre Hand aufs Herz. »Franziskus wird mir immer nahestehen, egal, wie lange wir noch miteinander ziehen. Er ist mir wie ein großer Bruder. Und das wird sich niemals ändern.«
    Lucas erwiderte für ein paar lange Augenblicke gar nichts. Als er wieder sprach, war seine Stimme rau. »Ist es das denn wert? Mag sein, dass du Franziskus morgen verlierst, dass einer seiner Anfälle der letzte ist. Je näher einem die Menschen stehen, desto mehr tut es einem weh, wenn sie fort sind.«
    Madelin starrte ihn entsetzt an. »Allein die Frage ist schrecklich. Mag sein, dass es einem wehtut, wenn man jemanden verliert. Aber die Zeit, die man geteilt hat, die bleibt einem doch. Die ist so kostbar!«
    Das Gesicht des Studenten blieb verschlossen. »Aber wenn jemand etwas tut, das einen verletzt?«
    »Das kommt darauf an, ob man vergeben kann«, sagte Madelin verzweifelt.
    Lucas wich ihrem Blick aus. »Und wenn man diese Vergebung nicht in sich findet?« Er schüttelte traurig den Kopf. »Mit den Karten können die Türken nicht nur unsere Mauern sprengen, sondern sich auch unter unsere Alarmplätze graben und
Hunderte, wenn nicht Tausende von Soldaten gleichzeitig in die Luft sprengen. Der Nachschub für die Mauern wäre gefährdet, die Janitscharen könnten die Verteidigungsreihen wegfegen und einfach in die Stadt spazieren. Wie soll man so etwas vergeben?«
    »Ich … ich weiß es nicht.« Madelin hatte eine unmögliche Entscheidung für die Schwester getroffen. Sollte sie deswegen Lucas verlieren?
    Der Student ging unruhig auf und ab. »Sie wissen jetzt alles über uns. Und müssen nur noch zustoßen! Heute hatten wir Glück, wir konnten die Breschen schließen, die sie an den Mauern gerissen haben. Aber was ist morgen? Und übermorgen?« Er schüttelte den Kopf. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Halbmondbanner über dem Stephansdom weht.«
    »Man hat nur dann sicher verloren, wenn man gar nicht erst kämpft«, sagte Franziskus auf einmal. »Hat mir kürzlich jemand gesagt.« Er setzte sich auf seinem Lager auf. Madelin kannte den Ausdruck auf seinem Gesicht, den er immer nach einem Anfall hatte - schwach und sorgenvoll, diesen Zuständen hilflos ausgeliefert zu sein.
    »Franzl!« Sie ließ sich sich neben ihm nieder und nahm seine Hand. »Du hast alles gehört?«
    »Ja.« Er verzog sein müdes Gesicht zu einem liebevollen Lächeln. »Du kannst nicht ertragen, wenn einem von uns etwas passiert, oder?«
    Madelin schluckte. »Nein.«
    »Du bist und bleibst ein Depperl. Was soll nun aus uns werden?«
    »Ich … Der Offizier, der die Karten bekommen hat, sagt, wir sollen in Mutters Haus gehen. Dort seien wir sicher.«
    »Warum ausgerechnet dort?«, fragte Lucas.

    »Er ist der Mann …«, sie zögerte, denn die Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen. »Er ist mein … Vater.«
    Die beiden Männer schwiegen betroffen. »Du hast Glück, dass du davongekommen bist«, murmelte Franziskus schließlich.
    »Madelin, du musst uns alles berichten, was vorgefallen ist«, bat Lucas. »Vielleicht finden wir so heraus, wer in den Mauern Wiens gegen uns arbeitet.«
    Stockend erzählte die junge Frau von ihrem Gang zum Henker und von dem Löwengesichtigen, der sie vor die Mauern geschickt hatte.
    »Ist der Mann ein Spion der Türken?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Es klang so, als hätte Mehmed ihn auch nur einmal getroffen. Er muss für jemanden aus der Stadt arbeiten.«
    »Verdammt. Und was wissen wir über ihn?«, fragte Lucas.
    Madelin versuchte sich an die Details dieses schrecklichen Abends zu erinnern. »Er hatte ein Gesicht wie ein Löwe«, sagte sie. »Franzl hat es auch gesehen. Er roch unangenehm … süßlich, ein wenig wie ein verwestes Tier. Und irgendwie war

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