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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Zündpfanne
schnellen. Die Waffe bockte in seiner Hand wie ein durchgehendes Pferd, der Schuss peitschte durch die Luft. Lucas sah, wie der Janitschar vor dem Wall mit erstauntem Gesichtsausdruck herumgerissen wurde und hinab in den Graben fiel, auf seine Kampfgefährten, die dort noch lagen.
    »Männer! Voran!« Vier Schritte neben ihm stand Niklas Graf Salm mit ebenfalls rauchender Arkebuse. Ihm folgte eine Handvoll Männer in Reiterkürassen. Der alte Mann warf die Waffe einem Verwundeten zu und zog sein Schwert. Die Reiter taten es ihm gleich und füllten die Bresche ihrerseits mit ihren Leibern aus. Graf Salm stand mitten unter ihnen.
    Zeitgleich begannen die Wiener aus allen Rohren zu feuern, Kanonen wie Arkebusen. Lucas sah zu den Zinnen von Mauer und Kärntner Turm hinauf. Der Dunst dort oben verhüllte die Männer und tat ein Übriges, die Schützen vor den Augen der Angreifer zu verbergen. Ein letztes Mal noch sah Lucas ein halbes Dutzend feindlicher Schützen aus dem Graben auftauchen und sich hinknien. Sie legten die Waffen an und zündeten. Lucas ließ sich zu Boden fallen und sah aus den Augenwinkeln, dass die Männer in der Bresche es ihm gleichtaten oder hinter den Holzwänden Deckung suchten. Dann verbarg eine Dunstwolke Angreifer und Verteidiger gleichermaßen.
    Erst als sich das Getöse und der Pulverdampf gelegt hatten, erkannte Lucas, dass Niklas Graf Salm nicht mehr stand. Der Blick des Studenten streifte alle Reiter, die mit Schwertern in den Händen in die Bresche zurückkehrten - keinen Augenblick zu früh, denn den Schüssen folgten Janitscharen mit gezogenen Säbeln. Schließlich sah Lucas den alten Mann auf dem Boden liegen, zwischen den Verwundeten und Toten dieses letzten Angriffs.
    Lucas rannte geduckt vor. »Graf Salm!«, rief er dabei, denn keinem der Männer schien in der Hitze des Gefechtes aufgefallen
zu sein, dass ihr Feldhauptmann auf dem Boden lag und drohte, bei einem Durchbruch niedergetrampelt zu werden. »Graf Salm ist gestürzt!« Der Alte lag im Schutt der zerborstenen Mauer und bewegte sich nicht.
    Für einen Augenblick hörte der Student auf zu atmen. Konnte es sein, dass Gott Wien die einzige Hoffnung nahm? Den alten Haudegen aus seinem letzten Kommando abberief, bevor es sein Ende gefunden hatte? Er war derjenige, der Reiterei und Landsknechte zu zügeln vermochte, der beide Arten von Soldaten zu bestem Nutzen führen konnte. Eck von Reischach und Graf zu Hardegg waren beide bei ihren Leuten anerkannt, doch im jeweils anderen Lager … Wenn Salm starb, würde die rechte Hand nicht mehr wissen, was die linke tat. »Lieber Gott«, stieß Lucas aus, »lass ihn nicht sterben. Noch nicht!«
    Als der Feldhauptmann schmerzerfüllt das Gesicht verzog und sich seine Hände um den Oberschenkel krampften, fiel Lucas beinahe auf die Knie vor Dankbarkeit und rannte dann dem Feldhauptmann, der noch mitten im Schussfeld lag, zu Hilfe. Am Unterschenkel lief ein dunkles Rinnsal herab.
    Lucas zog den Mann ein Stück zurück, riss dem Grafen den Schwertgurt vom Leibe, schnitt die Riemen ab, die die Schwertscheide hielten und schnürte ihm das Bein unter dem Knie ab. »Träger!«, brüllte er jetzt, so laut er konnte, in der Hoffnung, den Lärm der Kämpfer zu übertönen. Er sah sofort, dass Schienbein und Fleisch eine blutige Masse bildeten. Kurz entschlossen schob er dem Grafen einen der Lederriemen zwischen die Zähne, dann tastete er mit den Fingerkuppen den Knochen ab. Der alte Graf bäumte sich auf und stöhnte. Doch Lucas hatte seine Antwort. Der Knochen im Unterschenkel war völlig zertrümmert. Er konnte nur hoffen, dass keine Ader getroffen war.
    Lucas riss seinen Mantel herunter, schnitt eine lange schmale Bahn ab und sah den Grafen an. »Knie anwinkeln, Herr«, bat
er. »Dann kann ich es mit einem Verband festigen. Ich mach Euch nichts vor - der Transport wird die Hölle sein!«
    Der Graf blinzelte, dann nickte er schweigend und biss fester auf den Riemen. Langsam zog er den Oberschenkel mit den Händen hoch, damit Lucas an die Wunde kam. Seine Laute klangen wie das Grunzen eines verendenden Ebers, und er schwitzte vor Schmerzen.
    Endlich hatte Lucas genug Spielraum, um den improvisierten Verband mit kaum zitternden Fingern um den Schenkel zu binden. Er hoffte beinahe, dass der Graf dabei in Ohnmacht fiele. Doch der alte Haudegen tat ihm den Gefallen nicht.
    Graf Salm spie den Riemen aus. »Weg hier«, stöhnte er. »Platz - für Soldaten!«
    Lucas warf einen Seitenblick auf

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