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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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folgten die spanischen Schützen zu Fuß.
    Niklas Graf Salms sonst grimmige Miene war unter dem breiten Schnauzbart zu einem angriffslustigen Lächeln verzogen. Er hatte sein Schwert gezogen und schwenkte es auf die Bresche zu, die ihm am nächsten lag. »Hispanier herbei! Auf die Mauern und angelegt! Zeigt diesen Hundsfotten von Osmanen, was eine richtige Arkebuse ist!« Und die Männer gehorchten.
    Lucas wollte sich nun zurückziehen, als an seiner Seite einer der Männer röchelnd in sich zusammensackte. »Ins Augustinerkloster mit ihm!«, rief der Student einem weiteren Landsknecht zu, dann packte er den Verletzten unter einem Arm. Gemeinsam schleppten sie den Kerl zum Kloster, einem der Lazarette. Es war nahe genug, damit man die Verwundeten nicht Hunderte von Schritten weit transportieren musste, gleichzeitig aber
auch zu nahe an der Mauer, um sie dort lange zu belassen. Die Mönche und wenigen Physici, die dort ihren Dienst taten, riskierten selbst ihr Leben. Daher schaffte ein Trupp der Bürgerwehr die bereits versorgten Männer weiter nach Sankt Peter, das nicht in der Reichweite der Kanonen lag.
    Lucas packte an, wo er konnte. Er zählte die Verletzten nicht, denen er vom Schlachtfeld half. Soldaten stürzten von der Mauer, denen ein Schuss aus einer Arkebuse den Brustkorb oder die Schulter zerrissen hatte. Manche brachen sich beim Sturz von der hohen Mauer noch die Knochen.
    Die Sonne kroch auf den westlichen Horizont zu, als Lucas bei einem Gang zurück in das Getümmel an der Südmauer kam. Die Hektik war unbeschreiblich. Überall lagen blutverschmierte Männer, die Gesichter schwarz vom Pulverdampf. Stöhnen und Schreie hallten über den weiten Platz. So sehr sich die Bürgerwehr und die Mönche auch mühten, gegen die Zahl der Verwundeten war kaum ein Ankommen.
    Trotzdem waren die Breschen inzwischen etwa zur Hälfte geschlossen worden. Die Löcher dazwischen wurden umso heftiger umkämpft. Lucas sah ein halbes Dutzend Läufe von Arkebusen aus der Grasnabe vor dem Wall hervorragen. Die Janitscharen lagen unterhalb der Sichtlinie, die Läufe folgten den Bewegungen der vordersten Verteidiger.
    »Achtung!«, rief er noch, da erschallte ein vielstimmiges Krachen, und zwei der Landsknechte stürzten getroffen rückwärts aus der Bresche. Er sprang geduckt vor und fasste einen von ihnen unter dem Arm. Der spuckte röchelnd Blut und schlug mit den Armen um sich. Lucas zog den Kopf und schleppte den Mann nach hinten, damit die Landsknechte nicht auf ihm herumtrampelten, wenn sie nachrückten. Er roch den Pulverdampf und verbranntes Fleisch. Um ihn herum kämpften Männer bis zum Äußersten.

    Doch als er den Verwundeten aus dem umkämpften Gebiet geschleift hatte und sich umsah, blieb die Lücke in der Mauer ungefüllt. Die Landsknechte standen unter so heftigem Feuer, dass das Loch vom Dunst des Schießpulvers erfüllt war. Die Osmanen draußen schrien Befehle. Dann sah Lucas einen Büchsenlauf an der äußersten Holzwand hervorragen. Die Janitscharen kamen, um die Bresche zu nehmen, und weit und breit war kein Landsknecht in Sicht, der nicht verwundet war oder oben auf der Mauer stand!
    »Herbei!«, rief Lucas, so laut er konnte. Er griff sich die Pulverflasche und Kugelbeutel des Verwundeten, den er gerade aus der Schusslinie gezogen hatte. Dann griff er sich dessen Arkebuse. Er hatte Glück: Sie lag mit noch brennender Lunte auf dem Boden. Zwar hatte der Student den Mechanismus eines Luntenschlosses noch niemals bedient, doch in den letzten Stunden hatte er es oft genug gesehen. Er blies die Lunte leicht an, damit sie nicht verlöschte. Schnell füllte er den Lauf mit Zündpulver - er hatte keine Ahnung wie viel - und griff sich eine Kugel aus dem Lederbeutel. Eigentlich musste er beides jetzt noch stopfen, doch er hatte kein Instrument - es kam auch nicht darauf an, ob er jemanden traf oder tötete, beschloss er, nur darauf, dass es hier krachte und die Männer hinter dem Wall ihre Nasen nicht hereinsteckten. »Herbei!«, rief er wieder. »In die Bresche!«
    Dann füllte er mit zitternden Fingern von dem Pulver etwas auf die Zündpfanne - viel zu viel, das immerhin wusste er, denn das Pulver rieselte ihm über die Finger - und warf die Pulverflasche fort.
    Lucas legte die Waffe nicht an. Bei der Menge an Pulver war die Gefahr zu groß, dass ihm die Ladung ins Gesicht explodierte. Er sah, wie sich der Mann hinter dem Wall vorwärtsschob, und zielte grob. Dann ließ er die Lunte auf die

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