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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Stadtrichter. »Ich würde empfehlen, euch dem Flüchtlingszug gen Krems anzuschließen. Er wird von Reitern geschützt. Natürlich könnt ihr heimkehren, wenn die Osmanen fort sind, und euch beim Dekan beschweren, wenn ihr wollt. Wie ihr bereits gesagt habt - eigentlich bin ich für euch gar nicht zuständig. Aber wenn ihr ganz schlaue Bürschlein seid, lauft ihr mir nie wieder über den Weg.« Er starrte Lucas in die Augen. »Es gibt auch andere Städte, die man unsicher machen kann.« Damit drehte er sich um und ging aus der Zelle. Die Tür ließ er offen stehen.
    Lucas wusste nicht, was er davon halten sollte. Er starrte einen Augenblick auf seine braun verkrusteten Hände. Er hatte noch keine Möglichkeit gehabt, sich das Blut abzuwaschen. Ein Mann war tot. Durfte das so einfach vergessen werden? Ein Teil von ihm wünschte sich, eine Strafe für das zu bekommen, was er getan hatte.
    »Pernfuß!«, rief er und lief auf den Gang hinaus. Der Stadtrichter blieb stehen und wandte sich zu ihm um. »Warum bleibt Ihr hier, wenn alle anderen ihr Heil in der Flucht suchen?«, fragte Lucas.
    Pernfuß funkelte ihn an. » Weil alle anderen ihr Heil in der Flucht suchen.« Dann ging er die Treppe hoch, die in die Arbeitsräume der Schranne führte. Lucas starrte ihm für einen Augenblick erstaunt nach. Dann sammelten die beiden Studenten ihre Habseligkeiten ein und verließen die Schranne durch die Vordertür auf den Hohen Markt.

    Auch auf diesem Platz beherrschten Soldaten, Landsknechte und Reiterei das Stadtbild. Die Wiener Bürgersleute befanden sich stattdessen unter den Flüchtlingen, die sich mit gepackten Habseligkeiten gerade dazu aufmachten, gen Westen zu fliehen.
    Lucas warf einen Blick zurück zur Schranne. Das doppelstöckige Gebäude mit dem hohen Spitzdach besaß vor dem Haus eine Galerie, die man über eine steile Freitreppe erreichte. Dort oben, von wo normalerweise Urteile und Neuigkeiten verkündet wurden, stand der Stadtrichter jetzt und stützte sich aufs Geländer. Er wirkte nachdenklich.
    »Und jetzt?«, fragte Heinrich zu Hardegg.
    Lucas zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.« Er blickte zum Stand der Sonne im Osten und erkannte, dass es noch sehr früh am Morgen war.
    »Pernfuß hat uns aus der Stadt geworfen. Ich denke, wir packen unsere Sachen und gehen mit den Flüchtlingen.«
    »Du meinst, er hat uns gehen lassen«, korrigierte Lucas den Freund nüchtern. Das war mehr Anstand, als er dem kleinlichen Mann zugetraut hatte.
    »Wie auch immer man es nennen will.«
    Die Fensterläden der meisten Häuser am Hohen Markt waren verrammelt. Lucas’ Blick blieb an einem Haus hängen, bei dem die Läden ebenfalls geschlossen waren - bis auf einen im ersten Stock. Erst dachte er, das sei eine Nachlässigkeit der geflüchteten Bewohner, doch dann fiel ihm auf, dass auch das Fenster aus Butzenglas hinter den Läden offen stand. Dahinter stand eine Gestalt und blickte hinab auf den Platz.
    »Weißt’, wem das Haus dort gehört?«, fragte er Heinrich.
    »Welches - das? Meinem Vater.«
    »Graf zu Hardegg? Aber ich dachte, der hätte sein Stadthaus unten bei der Burg!«

    »Hat er auch. Das hier gehört seiner Mätresse.«
    »Er hat eine Mätresse?«
    »Du kennst dich in der Politik der Stadt nicht wirklich gut aus, oder?«, fragte Heinrich. »Elisabeth von Schaunburg ist eine der grauen Eminenzen des Hofes. Wäre sie damals nicht entehrt worden, wäre sie jetzt vermutlich meine Mutter. Sie war mit meinem Vater verlobt. Als sie nicht mehr gesellschaftsfähig war, hat er ihre Schwester geheiratet - Maria, meine Mutter.«
    »Und Elisabeth hat trotzdem noch ein Verhältnis mit deinem Vater?«
    »Die beiden waren einander wohl immer zugeneigt.«
    Lucas starrte hinauf zu dem Haus. »Und sie bleibt?«
    »Ja, sie bleibt. Elisabeth von Schaunburg bekommst du mit zehn Pferden nicht aus ihrer Stadt heraus. Und von meinem Vater fort.«
    »Das ist mutig für eine Frau.«
    »Sie hat durch die Türken ja nichts mehr zu verlieren.«
    »Wieso das?«, fragte Lucas. Als er verstand, biss er sich auf die Zunge und sagte dann: »Sie ist von einem Türken entehrt worden.«
    »Ja. Und sie hat ihm einen Bastard geboren, vor rund zwanzig Jahren. Sonst hätte das alles in der Gesellschaft auch nicht so hohe Wellen geschlagen.«
    »Übel, so ein Schicksal«, murmelte Lucas.
    »Komm, lass uns packen gehen. Wo mag der Zug sich sammeln?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte Lucas. Er sah einen der Gerichtsknechte vorbeilaufen, die dem

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