Die Schicksalsleserin
auf die Knie.
»Hoch! Weiter!«, hörte sie da jemanden rufen. Die Stimme klang weit weg, doch sie spürte, wie sie auf die Füße gezogen und in eine Richtung bugsiert wurde. Dann sah sie die offen stehende Kellertür und stolperte ins Freie.
Madelin ließ sich zu Boden gleiten, sobald sie außer Gefahr war. Das Kind auf ihrem Arm wog auf einmal schrecklich schwer. Sie barg es an der Brust und hielt es fest, obwohl es schrie und sich wand. Madelin hustete und rang nach frischer Luft. Sie fühlte, wie jemand ihr das Kind aus dem Arm nahm, und hörte Annas Stimme. Die versuchte das Mädchen zu beruhigen. Madelin rollte sich beruhigt auf den Rücken und schloss die Augen. Sie waren in Sicherheit.
Erst eine zarte Berührung auf der Stirn ließ sie wieder aufblicken. Rauch verdunkelte den Himmel, als sei es später Abend, dabei war es doch noch nicht einmal Mittag. Sie ertastete ein halbverbranntes Stück Papier und hielt es sich vor Augen. Das Blattgold sprach eine eindeutige Sprache, sie erkannte das Gesicht des gekrönten Herrschers vom Wagen aus ihrem Trionfi-Spiel. Es hatte im Keller auf dem Tisch gelegen.
»Nein«, keuchte sie und sprang auf die Füße. »Mein Spiel!« Madelin lief zum Eingang und machte einen Schritt in das Haus hinein. Ein Ruck am Gürtel hielt sie zurück. »Lass mich!«, rief sie wütend, doch jemand zog sie unnachgiebig aus dem brennenden Haus heraus. Es war der Blonde. »Lass mich los!«
»Madelin, du kannst da nicht wieder rein!«, hörte sie Anna rufen.
»Meine Karten!« Die Wahrsagerin schlug um sich. »Mein Trionfi-Spiel!« Sie versuchte, sich aus dem Griff des Mannes zu lösen, doch er hielt sie fest.
»Lass das! Du bringst dich noch um!«, rief er keuchend.
»Madelin, bitte lass es gut sein«, weinte Anna. »Du wirst sterben! Außerdem ist es zu spät! Deine Karten sind längst Asche.«
Asche. Das Wort ließ Madelin innehalten. Sie starrte in das brennende Haus. Noch ein, zwei halbversengte Kartenoberflächen wehten durch die Kraft der Flammen aus dem Haus, doch der Rest verging im Feuer. Madelin sammelte sie alle ein, egal, wie klein die Schnipsel auch sein mochten.
Neben ihr weinte Anna, das Kind auf dem Arm. »Da verbrennt gerade mein Leben«, schluchzte sie.
Mit den Trionfi-Karten hatte Madelin das einzige Kleinod verloren, das ihr in den letzten sechs Jahren etwas bedeutet hatte. Das Loch in ihrem Innern war so groß wie die Kammer in ihrem Geist, die sie stets besuchte, um das Schicksal aus den Karten lesen zu können. Es fühlte sich an, als fehle ihr ein Gliedmaß. Sie sah in die Flammen, die das Haus nun ganz vereinnahmt hatten.
»Meins auch«, flüsterte sie.
Die Landsknechte geleiteten Madelin, Anna und die Kinder gen Innenstadt, um sie zu dem Flüchtlingszug zu bringen, der die Stadt bald verlassen würde. Inzwischen brannte die ganze südliche Vorstadt mehr schlecht als recht, obwohl man sich besonders bemüht hatte, die Türme und Vorstadtzäune zu entzünden. Doch eine Stadt brannte nicht wie frischer Zunder, vieles rauchte und schwelte nur vor sich hin, besonders, da es in den letzten Tagen viel geregnet hatte.
Der Platz vor dem Schottenkloster wirkte, als berste er aus allen Nähten. Tausende Menschen befanden sich hier, von den Pforten der Schottenkirche bis hinunter gen Auf dem Mist und bis zum Tiefen Graben. Manche bewachten ihren Ochsen-oder
Hundekarren, andere führten bloß das Gepäck mit sich, das sie am Leibe tragen konnten. Überall wurde geschubst und gedrängelt, wenn sich jemand durch die Massen schob, und Rufe und Streitereien gellten über den Platz - der Lärm war beinahe unerträglich. Madelin kam es so vor, als schwämme sie in einem Meer von Leibern.
Offenbar warteten die Menschen hier schon Stunden - das Primglöcklein vom Stephansturm zählte die Zeit unbarmherzig mit seinem hellen Klang. Außen herum sorgten Reiter wie Hirten dafür, dass die Menge nicht auseinanderstob oder die Leute sich gegeneinander wendeten. Der Kampf, den Graf zu Hardegg gestern mit den Türken gefochten hatte, war in aller Munde. Und alle wussten, dass die Reiterei ihn verloren hatte.
Madelin sah sich nach ihren Freunden um, doch sie konnte sie nirgends finden. Immerhin hatten sie vereinbart, dass sie sich bei Sankt Peter vor der Burg trafen. »Kann ich jetzt mit den Kindern hinüber zum Hohen Markt?«, fragte Anna Lucas.
»Soweit ich weiß, wollen die Hauptleute sämtliche Flüchtlinge sammeln, damit man sie besser beschützen kann. Sie treiben sie
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