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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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oben. Und um es noch einmal deutlich zu machen: Der Sultan der Osmanen hat ein Meer von Soldaten mitgebracht - Gerüchten zufolge zweihunderttausend Mann. Wenn die Mauern nicht in spätestens drei Tagen fallen, fresse ich meinen Schuh. Wer in Wien bleibt, ist des Todes, so einfach ist das.«
    Madelin schaute betroffen hinüber zu Lucas und hoffte, dass das Gesagte nur für ihre Ohren bestimmt war. »Aber Anna will zum Hohen Markt, zum Haus unserer Mutter«, sagte sie. »Und ich will gar nicht dableiben. Ich bin so schnell wie möglich wieder hier, wenn ich die anderen gefunden habe!«
    »Das sagen sie alle, und dann setzen sie sich ab und wir sehen sie hier nie wieder«, sagte der Landsknecht.
    Anna mischte sich ein, die kleine Elisabeth auf der Hüfte, Fritzl an der Hand. »Aber ich will nicht aus der Stadt! Du da, frag den Grafen Hardegg, ob wir hinauskönnen!« Sie wies mit dem Finger auf eine Reiterschar, die an der Menge vorbeiritt. Tatsächlich war Graf zu Hardegg unter ihnen. Seine Kleider waren sauber und frisch, doch an einem Schnitt im Gesicht und der Schonhaltung des Armes sah man ihm den Kampf des gestrigen Tages noch an.

    »Warum fragen wir nicht gleich Salm, den alten Säbel?«, schnaubte der Landsknecht.
    Madelin ignorierte ihn. »Graf zu Hardegg!«, rief sie und winkte ihm zu.
    Der Graf zügelte sein Pferd und drehte den Kopf in ihre Richtung. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Madelin stupste Anna an, um sie zum Reden aufzufordern.
    »Graf zu Hardegg«, sagte die, »diese Leute sagen, wir dürfen den Zug nicht verlassen!«
    »Anna«, sagte er und runzelte die Stirn. »Warum solltest du das tun wollen?«
    »Ich will mit den Kindern in der Stadt bleiben, bei der Mutter!«
    Zu Hardegg musterte sie. Seine Miene verriet nicht, ob er auch Madelin erkannt hatte. »Nein«, verkündete er dann. »Du bist hier nicht sicher. Nimm die Kinder und geh mit nach Krems.«
    »Aber die Mutter bleibt auch hier!«
    »Deiner Mutter kann ich auch nicht befehlen zu gehen«, erklärte zu Hardegg. Madelin meinte, dass Bedauern in seiner Stimme zu hören. »Aber Ihr könnt Anna nicht einfach gegen ihren Willen wegschicken!«, protestierte sie.
    »Doch, das kann ich«, erwiderte er kühl.
    Madelin schluckte ihren Ärger hinunter. »Dann lasst wenigstens mich in die Stadt gehen. Ein paar meiner Freunde fehlen, und ich will sie suchen gehen, damit sie den Zug nicht verpassen!«
    »Nein. Keine Ausnahmen«, gab der Graf an den Landsknecht gerichtet zurück. »Wir müssen die Leute hier so bald wie möglich rausschaffen. Wir können keine unnützen Esser brauchen. Wir haben fast zwanzigtausend Kämpfer zu ernähren.«

    »Aber ich bin ja gleich wieder da!«
    Der Graf musterte sie. »Was, wenn du den Zug verpasst, Weib? Willst du kämpfen? Das glaube ich kaum.« Er hatte Madelin offenbar nicht erkannt. Jetzt wandte er sich an den Landsknecht. »Also - raus mit ihnen.«
    »Gebt uns wenigstens ein Pferd, damit die Kinder nicht immer laufen müssen!«, rief Anna.
    »Die Pferde werden zur Verteidigung gebraucht«, schloss er und setzte seinen großen Braunen wieder in Bewegung.
    »Das hat uns jetzt weitergebracht«, schnaufte der Landsknecht wütend.
    Madelin wunderte sich nicht, dass der Graf sie übersehen hatte - sie war seit sechs Jahren nicht in Wien gewesen und galt vermutlich als tot. Doch dass er seiner eigenen Tochter die Hilfe verweigerte, entsetzte sie - und Anna offenbar auch. »Ich hab ihn die letzten Jahre kaum gesehen«, murmelte sie bleich.
    »Also, Steinkober«, sagte der Landsknecht, »sieh zu, dass das Weib nicht wegläuft.« Dann schob er sich mit den anderen Männern aus der Menge heraus.
    Madelin ballte die Hände zu Fäusten. Sie konnte die Stadt nicht ohne Franziskus und die anderen verlassen.
    »Du hast gehört, was der Mann gesagt hat«, erwiderte Lucas. »Ich darf dich nicht gehen lassen.« Er holte tief Luft und deutete auf zwei miteinander streitende Männer, deren Handkarren ineinander verkeilt waren. »Also, ich werde mich jetzt mal um die beiden Streithähne dort kümmern. Irgendjemand muss sie ja davon abhalten, sich die Köpfe einzuschlagen. Und ihr rührt euch nicht von der Stelle, ja?«, sagte er und zwinkerte Madelin dabei zu.
    »Ich … ja, natürlich. Danke schön - für die Hilfe vorhin, meine ich.« Sie lächelte den jungen Mann an, der ihr und ihren Lieben nun zum zweiten Mal beigestanden hatte. Lucas lächelte
zurück, fuhr sich durch das wild abstehende blonde Haar und

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