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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Sie sammelte all ihren Mut. »Ja, besonders dir. Aber was ich eigentlich sagen wollte war: besonders jemandem, der … der mir so viel bedeutet wie du.«
    Lucas starrte sie ein paar Augenblicke lang stumm an. Dann
schlug er die Karten wieder ein, drückte sie Madelin in die Hände und setzte sich neben sie auf den gemauerten Brunnenrand. »Und genau deshalb möchte ich, dass du dieses Kartenspiel bekommst. Ich möchte wissen, dass es dir gutgeht. Und du musst mir nichts zurückzahlen. Es ist ein Geschenk.« Er blickte ihr tief in die Augen und berührte ihren Arm mit der Spitze seines Zeigefingers. »Bitte.«
    Madelin sah, dass es ihm wirklich ernst war. Sie blickte auf das kleine Päckchen hinunter und spürte den leichten Druck auf ihrer Haut. Sie öffnete die Wachshaut ein bisschen und blickte auf die Karte, die zuoberst lag - die Liebenden. Damit hatte er ihr etwas mitgeteilt, was er nicht auszusprechen gewagt hatte. Sie spürte, wie eine tiefe Freude einen Knoten in ihrer Brust löste. »Danke schön«, sagte sie leise. »Dann behalte ich es gerne.« Und sie schenkte dem Studenten ein Lächeln, das sich schnell in seinen Zügen widerspiegelte.
    »Ich sehe besser gleich nach deinem Freund«, sagte Lucas. »Und danach muss ich leider noch zum Stadtrichter.«
    Madelin nickte. »Aber wir sehen uns vielleicht morgen wieder?«
    »Ja, morgen.« Lucas stand widerwillig auf und wandte sich zu den Karren, um mit Franziskus zu sprechen.
    Madelin schloss dankbar die Augen. Sie hatte beinahe das Gefühl, als habe Lucas ihr einen Schutzpanzer übergeben, der sie einhüllte und Leid und Sorgen von ihr abprallen ließ. Im Leben gab es so wenige Momente der Freude, dass sie die genießen wollte, die ihr zuteilwurden.
    Schließlich nahm die Wahrsagerin die Karten in ihrer Hand noch einmal genauer in Augenschein. Das Spiel sah ihrem alten wirklich erstaunlich ähnlich. Es hatte denselben Stil - ihre Mutter hatte früher einmal gesagt, es sei für einen Mann namens Visconti aus Italien gemacht worden - und beinahe dieselben
Motive. Da solche Karten inzwischen gedruckt wurden, war die Ähnlichkeit vielleicht weniger absonderlich, als sie dachte. Das Gold auf den Karten war ganz frisch und unbeschädigt, die Linien klar und sauber. Manche Muster hingegen kannte sie von ihrem alten Spiel gar nicht. Dieses Spiel war ein wahrhaft königliches Geschenk.
    In alter Gewohntheit mischte Madelin die Karten, drehte sie um und zog blind eine heraus. Sie hielt den Atem an, als sie die Karte erkannte. Eine Frau im blauen Kleid und rotem Untergewand goss Wasser aus einem Gefäß in ein identisch aussehendes zweites, damit sie beide gleich voll wären. Sie war schön wie die Venus und trug ihr goldenes Haar bescheiden im Nacken zu einem Zopf geflochten. Mit einem Bein stand sie an Land, mit dem anderen im Wasser. Madelin schluckte, denn dies war die Karte, die sie bei ihrem alten Stoß als Allererste jemals aus dem Stapel gezogen hatte. Die Mäßigung , die empfahl, Geben und Nehmen im Einklang zu halten, die Gefühle zu ordnen und nichts zu übertreiben.
    Die Wahrsagerin barg die Karten in den zitternden Händen und tauchte in ihr Innerstes ab. Dort näherte sie sich zaghaft der dunklen Kammer in ihrem Geist. Sie nahm all ihren Mut zusammen und versuchte, das Licht wieder zu entzünden, wie sie es früher immer getan hatte. Sie hauchte in die Hände und wartete. Doch nichts geschah, es umgab sie bloß die schweigende Finsternis. Enttäuscht öffnete sie die Augen und blinzelte. Es hatte keinen Zweck.
    Madelin steckte die Karte zurück, schlug das Spiel wieder in das Tuch und verstaute es sorgfältig in der Gürteltasche. Dies war nicht ihr Trionfi-Spiel. Das Band, das sie früher gespürt hatte, war zerrissen, als ihre Karten verbrannt waren.

KAPITEL 9
    E in Durstgefühl weckte Christoph Zedlitz von Gersdorff aus einem unruhigen Schlaf. Sein Mund war so trocken, als hätte er tagelang zu wenig getrunken, so dass die Lippen bereits aufgesprungen waren. Sein Körper schmerzte noch immer von dem Kampf. Man hatte seine Wunden zwar behandelt, doch sein Kopf pochte schmerzhaft. Er wusste nicht genau, wie viele Tage vergangen waren, bloß dass er oft aufgewacht war, um sich zu übergeben. Heute hatte er endlich nicht mehr den Eindruck, als sei er unter einen Mühlstein geraten.
    »Hier, trinkt das.« Jemand drückte ihm etwas Kühles an die Lippen, und Zedlitz gehorchte. Eine schmale Metalltülle versorgte ihn mit

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