Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
Wasser. Er blinzelte und sah auf das Gefäß, das ihm an den Mund gehalten wurde. Zedlitz erkannte eine sackartig geformte Feldflasche mit fremdartigen Drahtstickereien. Osmanischen Drahtstickereien. Er erinnerte sich.
    Zedlitz war am dreiundzwanzigsten September als Bannerträger Johann Graf zu Hardeggs auf seinen ersten echten Ausfall geritten, als die Türken vor der Stadt Wien aufgetaucht waren. Mit der großen Ehre, das Banner bei der Gegenwehr führen zu dürfen, ging eine hohe Verantwortung einher, denn es durfte nicht in die Hände des Feindes fallen.
    Unter Graf zu Hardeggs Befehl waren die einhundertfünfzig Mann starke Reiterei aus Mähren geritten sowie ein Großteil der Reiterei von ober- und unterhalb der Enns - alles in allem fünfhundert Männer in Kürassen und Helmen, die Arme und Beine mit schweren Schienen bedeckt. Die Reiter hatten Lanzen und Schwerter getragen, manch einer sogar noch einen
Streitkolben, mit dem sich besonders gut auf Fußkämpfer eindreschen ließ.
    Die osmanische Reiterei, die auf Wien zugaloppiert war - man bezeichnete sie als Akindschi -, hatte deutlich kleiner gewirkt, vielleicht zweihundert Mann, allesamt dem Aussehen nach eher bärtige Hirten denn Kämpfer. Ihre Kleidung war kaum einheitlich gewesen - manche hatten prachtvolle Kettenrüstungen getragen, andere gar keine Wappnung. Neben den merkwürdig gekrümmten Säbeln hatten sich die Türken mit Bögen bewaffnet - völlig überflüssig, wie Zedlitz gedacht hatte, denn wer konnte schon vom Pferderücken im gestreckten Galopp schießen?
    Einen Augenblick lang hatte er befürchtet gehabt, die Türken seien so wahnwitzig, die Vorstadt im Handstreich nehmen zu wollen. Dann hatten sie gewendet und waren geflohen. Zu Hardegg hatte die Jagd freigegeben, und die Reiter hatten gelacht und gejohlt. Für einen Moment lang war ihnen der Sieg zum Greifen nah erschienen.
    Doch dann hatten sie einen Wald umrundet, der sich zu einem offenen Feld geöffnet hatte, durch das die Straße gen Schwechat mittig hindurchführte. Dort waren ihnen mehrere Tausend Mann schwere Reiterei in einem langen Heerwurm entgegengezogen, stark gerüstet und mit lanzenartigen Speeren ausgestattet - allesamt Lehensreiter aus Semendria. Die ›Schafhirten‹, die hierhergeflohen waren, hatten ihre Tiere herumgeworfen, um sich in die Reihen der Verbündeten einzugliedern. Sie hatten den Wiener Reitern eine Falle gestellt, und zu Hardegg war mitten hineingetappt.
    Zedlitz versuchte, sich auf seinem Krankenlager zu bewegen, doch die Schmerzen ließen ihn stillhalten. Als die Reiterei geflohen war, war er ins hintere Feld geraten und schließlich zum Kampf gezwungen worden. Er hatte noch versucht, einem
anderen Reiter beizustehen - Albert von Kempff, der vor dem Ritt keine Gelegenheit hatte verstreichen lassen, Christoph für seine Jugend und Unerfahrenheit zu verhöhnen. Der riesige Mann hatte mit seinem Streitkolben um sich geschlagen wie der antike Mars. Dann war ihm mit einem wuchtigen Schlag halb der Kopf vom Hals getrennt worden.
    Christoph hatte noch versucht zu fliehen, doch er war aus dem Sattel gehoben und zu Boden geworfen worden. Schließlich hatte ihn ein Mann aufgefordert, das Banner zu übergeben, an das er sich geklammert hatte. Doch Christoph hatte sich geweigert und gekämpft, so lange er konnte. Schließlich hatten sie ihm das Banner aus den Händen gerissen, als er sich nicht mehr hatte bewegen können. Danach erinnerte er sich an nichts mehr.
    Zedlitz blinzelte erneut, um den Mann zu erkennen, der ihm gerade das Wasser gereicht hatte. Rote Haare bewiesen ihm, dass es sich um Tannhardt von Pollern handelte, der mit ihm um von Kempffs Leben gerungen hatte. »Das Banner?«, krächzte Christoph. Von Pollern schüttelte nur den Kopf und presste die Lippen aufeinander.
    »Ich habe das Banner verloren.« Sein erster Ausfall, sein erster Ehrenritt als Bannerführer des Grafen - und er hatte es dem Feind überlassen. Schlimmer noch, er lebte sogar noch. Er fühlte, wie sich sein Gesicht vor Schande erhitzte. Vorsichtig betastete er seinen Kopf, der mit einem trockenen Verband umwickelt war, und richtete sich in eine sitzende Position auf. Nachdem der plötzliche Schwindel verflogen war, sah er sich um.
    Zedlitz befand sich mit sieben Männern aus Graf zu Hardeggs Einheit in einer hellen Kammer. Die Fenster waren vernagelt, die Tür, die offenbar mit Gewalt aufgebrochen worden war, hielt trotzdem irgendwie fest in ihrem Rahmen und schien
von außen

Weitere Kostenlose Bücher