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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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gesichert. Der festgestampfte Lehmfußboden war dunkel von getrocknetem Blut und feuchtem Stroh, die Wände seit Jahrzehnten nicht mehr weiß. Scharen von Fliegen summten in der Luft und hockten auf den Blutflecken. Mehrere Lagerstätten wiesen den Raum als eine Art Spital aus.
    »Wo sind wir?«
    »Sankt Marx«, erwiderte von Pollern. Das Spital außerhalb der Stadt war ein Siechenhaus gewesen. »Sie haben die Kranken abgestochen.«
    Christoph fühlte wieder ein Unwohlsein in seinem Magen und trank noch einen weiteren Schluck Wasser. »Wie lange sind wir schon hier?«
    Von Pollern verzog das mit Sommersprossen übersäte Gesicht. »Heute sind es fünf Tage. Es muss der achtundzwanzigste September sein.«
    »Fünf Tage!« Zedlitz blinzelte erstaunt und fühlte in sich hinein. Er hatte sich nicht so verwundet gefühlt, dass er fünf Tage Genesung gebraucht hätte. Doch die Tritte gegen den Kopf waren offenbar gefährlich gewesen.
    »Wir … acht … Sind wir die Einzigen?« Er nickte zu den mährischen Reitern auf den Lagern hinüber.
    »Die Einzigen, die überlebt haben«, gab von Pollern zurück. »Von Kempff und zwei weitere sind tot. Und bevor Ihr wieder fragt: Graf zu Hardegg ist in Sicherheit in Wien.«
    Christoph warf ihm einen fragenden Blick zu. »Wieder? Und warum der ungeduldige Ton, Tannhardt?«
    Von Pollern lächelte entschuldigend. »Ihr wart bereits mehrfach länger wach, Zedlitz«, erwiderte er. »Ihr konntet Euch aber jedes Mal an nichts erinnern und habt immer dieselben Fragen gestellt.« Er warf Christoph einen abwartenden Blick zu. »Ihr erinnert Euch jetzt aber schon, oder? Nicht, dass ich Euch das alles nochmal erzählen muss.«

    »Ich erinnere mich an das Gefecht«, gab Zedlitz zurück. »Und an von Kempff.«
    »Gut«, seufzte von Pollern erleichtert. »Ja, Ihr seht jetzt auch schon besser aus als die letzten Tage. Klarer. Albert liegt mit den beiden anderen draußen. Sie haben sie an einem Strick mit herübergeschleift.«
    »Ist … ist sein Kopf noch dran?«
    »Ja. Dieser Dickschädel ist selbst im Tod zu hart für die Osmanen«, sagte der Rotschopf grinsend.
    Zedlitz sah sich um. Die Männer auf den Lagern wirkten eher gelangweilt als besorgt. Sie trugen Verbände an Armen, Beinen und am Leib. Die Wunden waren offenbar fachmännisch versorgt worden - so viel Anstand besaßen die Türken. »Was wollen die noch von uns? Haben sie etwas gesagt?«, fragte er von Pollern.
    »Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Vielleicht wollen sie uns zeremoniell hinrichten. Oder wir sind ein Geschenk für den Sultan.«
    »Der Sultan ist da?«
    »Er ist vorgestern eingetroffen. Die Osmanen haben ihn gefeiert, als sei ihnen der Erlöser erschienen.«
    »Kein Wunder«, murmelte Christoph. »Wie viele Männer hat er vor Wien geführt? Man hat ja schlimmste Gerüchte gehört.«
    Der Rotschopf zögerte. »Über einhundertfünfzigtausend.«
    »Heilige Mutter Maria«, stieß Christoph aus. »Das sind viele.«
    »Fast zehnmal so viel wie Graf Salms Truppen in Wien. Zu Hardegg hat gesagt, die Stadt sei nicht zu halten.«
    »Vermutlich hat er Recht. Wie haben die Osmanen Euch behandelt?«
    »Recht gut eigentlich. Wir bekommen zu essen, genug Schlaf,
und man hat uns wieder zusammengeflickt. Wir sind noch am Leben.«
    »Wie ist es um ihre Aufmerksamkeit bestellt?«
    »Hoch«, erwiderte Tannhardt. »Sie beten allerdings mindestens fünfmal am Tag - auf den Knien. Jeder hat dafür einen eigenen Teppich mitgebracht, damit sie nicht im Dreck hocken. Sie beten fast alle gleichzeitig, viele in Gruppen.«
    »Zu welchen Zeiten?«
    »Im Morgengrauen, am Mittag, am Nachmittag zur Vesperzeit, bei Sonnenuntergang sowie in der Nacht.« Der Rotschopf lächelte. »Wir versuchen, so viele Informationen zu sammeln wie möglich. Vielleicht kommt ja einer von uns hier lebend raus.«
    Christoph bezweifelte das. Die Osmanen waren Barbaren, die ihre Gefangenen brutal abschlachteten, das wusste jedes Kind. Doch er wollte den anderen Männern nicht ihre Hoffnung rauben. »Und wie ist die Moral da draußen?«, fragte er und wies mit dem Kinn auf das vernagelte Fenster, bereute es aber sofort, denn sein Kopf pochte schmerzhaft.
    Tannhart von Pollern trat ans Fenster. »Ich durchschaue diese Wilden nicht. Ab und an kochen die Gemüter so hoch, dass sie einander fast die Schädel einschlagen. Sie haben die Kranken hier zu Sankt Marx abgestochen, als handele es sich um lästiges Federvieh. Trotzdem beten sie fünfmal am Tag und küssen dabei den Boden. Und

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