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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ein Amt niederzulegen, das ihm bis in die innersten Daseinsfibern widerstrebte.
    Wenn auch der Kawdjer »regierte« und eigentlich der größte Despot war, so war er doch kein glücklicher Despot. Die lange Gewohnheit des Herrschens hatte ihm das Amt nicht lieber gemacht, er übte es sehr wider seinen Willen aus.
    Er selbst bäumte sich gegen alle Autorität auf und das war ihm stets peinlich, die seine bei anderen zur Geltung bringen zu müssen. Er war derselbe energische, verschlossene und traurige Mann geblieben, den man an jenem fernliegenden Tage, der den Emigranten fast zum Verderben geworden wäre, zum ersten Male erblickt hatte. Die anderen hatte er damals gerettet – und dabei sich selbst verloren Er war gezwungen worden, auf seine Illusionen zu verzichten, er hatte sich vor den Tatsachen beugen müssen und hatte das Opfer heldenmütig gebracht – aber in seinem Herzen war der alte Traum noch nicht erstorben. Wenn unsere Gedanken nur eine Entfaltung unserer natürlichen Instinkte sind, leben sie ihr eigenes Leben, das von unserer Vernunft und unserem Willen unabhängig ist. Sie kämpfen gegen die Tatsachen an wie Wesen, die nicht sterben wollen. Die Gegenbeweise müßten überwältigend sein, um uns ganz überzeugen zu können, alles in uns strebt wieder den Gedanken zu, die einst unser Glück ausgemacht.
    Jetzt aber fühlte er sich frei, der Opfermut war nicht mehr geboten, jetzt weckte das Schicksal der Hostelianer keine Regung des Mitleides mehr, jetzt wachte die alte, lange gehegte Überzeugung wieder auf und jetzt wurde der Despot wieder der leidenschaftliche Freisinnige von einstens.
    Diese Umwandlung hatte Harry Rhodes bemerkt; sie wurde immer deutlicher zu erkennen, je mehr sich der Wohlstand der Insel hob. Sie wurde ganz klar, als der Kawdjer den Leuchtturm für beendet ansehen konnte und damit seine Lebensmission erfüllt sah. Und schließlich scheute er sich auch nicht, seine Gedanken in Worte zu fassen Harry Rhodes hatte einmal gelegentlich einer freundschaftlichen Unterhaltung, in deren Verlaufe längstvergangene Tage lebendig wurden, die vielen Wohltaten berührt, die man dem Kawdjer verdankte; seine Antwort darauf war eine nicht mißzuverstehende Erklärung:
    »Ich habe die Aufgabe übernommen, auf dieser Insel eine Kolonie zu begründen. Ich habe mein Möglichstes getan, um meine Pflichten zu erfüllen. Jetzt ist das Werk vollendet und ich betrachte meine Verpflichtungen für gelöst. Dadurch werde ich den Beweis liefern, hoffe ich, daß doch ein Land existieren kann ohne Tyrann.
    – Ein Staatsoberhaupt muß doch nicht gleichzeitig Tyrann sein, sagte Harry Rhodes tief bewegt; Sie liefern ja den besten Beweis in Ihrer Person! Aber eine Gesellschaft ohne Autorität kann nicht bestehen, man möge ihr einen Namen wie immer beilegen.
    – Meine Ansicht ist anders, antwortete der Kawdjer. Ich finde, daß die Autorität aufzuhören hat, sobald sie nicht mehr durch zwingende Gründe geboten ist.«
    Man sieht daraus, wie der Kawdjer immer noch seinen utopistischen Ideen nachhing, er behielt noch Illusionen über die menschliche Natur, alles Erlebte hatte ihm den Glauben nicht nehmen können, daß die Menschheit auch ohne die Unterstützung von Gesetzen imstande sein kann, die vielen Schwierigkeiten des Lebens beizulegen, die der Konflikt der individuellen Interessen mit sich bringt. Harry Rhodes sah mit tiefer Trauer die Fortschritte, die sein Freund auf der längst verlassenen Bahn machte und befürchtete einen schlimmen Ausgang. Fast wünschte er, daß irgendein Zwischenfall – und sollte er selbst die friedliche Existenz der Hostelianer untergraben – den Kawdjer neuerdings von seinem Irrtum heilen möchte.
    Leider sollte dieser frevlerische Wunsch nur zu bald Erfüllung finden.
    In den ersten Tagen des März 1891 verbreitete sich das Gerücht, daß ein Goldlager von bedeutender Ausdehnung in den Bergen entdeckt worden sei. Daran war an und für sich nichts Schreckliches! Jedermann freute sich im Gegenteil darüber und selbst die Weitsehendsten unter den Hostelianern, darunter Harry Rhodes, teilten die allgemeine Begeisterung. Es wurde zum Festtag für die Bevölkerung von Liberia.
    Der Kawdjer war der einzige, welcher weiter sah. Er begriff im Augenblick die notwendige Folge dieser Entdeckung und sah die latenten Erstarrungsgewalten darunter schlummern. Und während sich alle um ihm lautem Jubel hingaben, blieb er allein finster und in sich gekehrt; schon jetzt drückten ihn die

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