Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Erstangekommenen, denen er kaum bis zum Gürtel reichte; trotzdem war es ihm gelungen, sich sogar vor die Männer hinauszuschieben. Unglücklicherweise konnte diese Heldentat nicht ohne verschiedene Püffe und Stöße ausgeführt werden, welche die Umstehenden übel vermerkten, und der Zufall wollte, daß einer derselben Fred Moore war, der ältere der beiden Brüder, welche – wie Harry Rhodes dem Kawdjer erzählt hatte – sich durch ihr heftiges, zänkisches Wesen auszeichneten.
Fred Moore, ein stark gebauter Mann von fast sechs Fuß Körperhöhe, stieß einen kräftigen Fluch aus, als er sich an den Beinen gestoßen fühlte. Das genügte, um die Spottlust Dicks wachzurufen. Er wandte sich an Sand und Marcel, welche seinem Beispiel folgten und auch wacker vordrängten.
»Achtung! sagte er, warum, zum Kuckuck, stoßt ihr denn diesen Herrn so? Zu welchem Zwecke denn? Wir stellen uns einfach hinter ihn und können prächtig über seinen Kopf hinwegschauen.«
Diese Anmaßung – in Anbetracht der winzigen Gestalt des Redners – war so übertrieben, daß die Umstehenden laut lachten, was Fred Moores Laune gerade nicht verbesserte. Das Blut stieg ihm zu Kopfe.
»Mücke! sagte er verachtungsvoll.
– Vielen Dank für dieses Kompliment, Euer Gnaden, obwohl Sie es englisch ziemlich schlecht aussprechen. Sie müssen »reizend« sagen, spottete Dick, welcher sich die Konsonantenähnlichkeit in den Wörtern
»gnat«
(Mücke) und
»natty«
(reizend) zunutze machte.«
Fred Moore wollte über ihn kommen, aber seine Nachbarn hielten ihn zurück und rieten ihm, die Kinder in Ruhe zu lassen. Dick benützte die Gelegenheit, sich mit seinen beiden Freunden rasch zu entfernen und stellte sich vor andere Auswanderer, welche friedlicherer Natur waren und die Kinder ruhig gewähren ließen.
»Warte nur, mein Junge, knurrte Fred Moore, welcher zur Unbeweglichkeit gezwungen war, das bleibt dir nicht geschenkt! Ich werde dich schon noch an den Ohren ziehen!«
Dick, welcher sich jetzt in Sicherheit fühlte, maß seinen Gegner mit nicht gerade achtungsvollen Blicken.
»Dazu brauche ich erst eine Leiter, Kamerad,« sagte er mit seiner großartigsten Miene und hatte wieder die Lacher auf seiner Seite.
Fred Moore begnügte sich, spöttisch die Achseln zu zucken, und Dick, welcher zufrieden war, im Streite das letzte Wort behalten zu haben, kümmerte sich nicht weiter um ihn und wandte seine ganze Aufmerksamkeit der Schaluppe zu, deren Kiel sich eben knirschend in den Sand des Ufers bohrte.
Kaum hielt die Wel-kiej, als Karroly ins Wasser sprang, um sie fest zu verankern, dann half er seinem Gefährten ans Land und entfernte sich mit Halg und dem Kawdjer, ganz beglückt, sie nach der langen Abwesenheit wiederzusehen.
Wenn die Annahme wahr ist, daß die freundschaftlichen Gefühle bei den Feuerlands-Insulanern wenig entwickelt sind, dann bildete eben Karroly eine Ausnahme von der Regel, das bewiesen deutlich die liebevollen Blicke, die er über den Kawdjer und Halg gleiten ließ. Für den ersteren war er eben der treue, opferwillige Hund, an den sein Äußeres erinnerte.
Seine blinde Ergebenheit fand nur ihresgleichen in den Gefühlen Halgs für den Kawdjer, aber bei dem jungen Mann waren sie lebhafter und bewußter. Wenn Karroly der natürliche Vater Halgs war, so war der Kawdjer sein geistiger Urheber. Dem einen dankte er sein Leben, dem anderen seine Verstandes-und Gemütsbildung, die Lehren des geheimnisvollen Einsiedlers hatten ihn geformt und erzogen, in ihm Gefühle und Ideen wachgerufen, die den enterbten Eingebornen des Archipels gänzlich unbekannt waren.
Die Liebe, die er dem Kawdjer entgegenbrachte, wurde ihm von seiten des letzteren reichlich vergolten. Halg war das einzige Wesen, das imstande war, dem vom Leben enttäuschten Manne wirkliches Interesse einzuflößen; die Liebe, die ihn zu dem Knaben zog, war die einzige, deren er fähig war; sonst pflegte er nur einen allumfassenden, unpersönlichen Altruismus, zwar bewunderungswürdig in der Größe seiner Auffassung, aber eher für das unendliche Herz eines Gottes, als für die kleine Menschenseele gemacht. Es ist wohl diesem Grunde zuzuschreiben, daß man zwar dunkel, aber instinktiv dieses Mißverhältnis fühlt und daß eine derartige Empfindung trotz ihrer erhabenen Schönheit die Menschen eher erstaunt als begeistert und sie ihnen fast unnatürlich erscheinen läßt, weil sie zu hoch über ihrem Fassungsvermögen steht. Vielleicht urteilen sie nach der Armut
Weitere Kostenlose Bücher