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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ihres eigenen Herzens und finden, daß bei einer unter so viele sich teilenden Liebe der Anteil des einzelnen zu klein ausfällt, so daß sie vorziehen, sich rückhaltslos wenigen Auserwählten zu geben.
    Während die drei durch langjährige innige Freundschaft so fest verbundenen Menschen die Einzelheiten der Reise besprachen und sich voll und ganz der Freude des Wiedersehens hingaben, umdrängten die Auswanderer den zurückgekehrten Germain Rivière, um den Erfolg seiner Mission zu erfahren. Die verschiedensten Fragen wurden gestellt, hastig und in wildem Durcheinander, alle ließen sich aber auf die eine zurückführen: warum war die Schaluppe allein zurückgekommen und warum bemerkte man nicht anstatt ihrer ein großes Schiff, das alle hätte an Bord nehmen und in die Heimat bringen können?
    Germain Rivière gebot mit der Hand Stillschweigen. Nachdem sich der Tumult gelegt hatte, beantwortete er die klar und deutlich gestellten Fragen Harry Rhodes und berichtete über seinen Aufenthalt in Punta-Arenas. Er hatte den Gouverneur, Herrn Aguire, gesehen, welcher im Namen der chilenischen Regierung den Opfern der Katastrophe Beistand verheißen hatte. Aber nachdem kein Schiff von genügendem Tonnengehalt, um alle Reisenden aufzunehmen, in Punta-Arenas stationierte, mußten sich diese in Geduld fassen. Die gegenwärtige Situation war ja durchaus nicht beunruhigend. Nachdem alles Material in bestem Zustand und Lebensmittel auf achtzehn Monate vorhanden waren, konnte man ohne Besorgnis ruhig zuwarten.
    Es war nicht zu verheimlichen, daß die Wartezeit eine lange sein würde. Der Herbst hatte kaum begonnen und es wäre unklug gewesen, ohne die zwingendste Notwendigkeit um diese Jahreszeit ein Schiff den Gefahren dieser Breiten auszusetzen. Man handelte im beiderseitigen Interesse, wenn die Reise aufs Frühjahr verschoben wurde. In den ersten Tagen des Oktober, also in sechs Monaten, sollte ein Schiff nach der Insel Hoste entsendet werden. Die Kunde verbreitete sich rasch von Mund zu Mund von der ersten bis zur letzten Reihe der Umstehenden. Sie hatte bei den Schiffbrüchigen die Wirkung eines lähmenden Schreckens. Man war verurteilt, sechs lange Monate in vollkommener Untätigkeit in dieser Einöde zu verbringen! Man konnte hier ja nichts unternehmen, denn nachdem man die Schrecken des Winters überdauert, mußte die Insel mit dem Beginn des Frühjahres verlassen werden. Die früher so lärmende Menge war totenstill geworden. Man wechselte betrübte Blicke, dann wich das starre Staunen lauten Zornausbrüchen. Schmähworte wurden gegen den Gouverneur von Punta-Arenas geschleudert. Aber auch der Zorn legte sich wieder, nachdem er sich in heftigen Worten Luft gemacht hatte, und die Leute wollten eben traurig und niedergeschlagen ihre Zelte wieder aufsuchen, als sie unterwegs von einer sich eben bildenden Gruppe von Menschen aufgehalten wurden; ganz mechanisch blieben sie auch stehen, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, daß sie sich den von dem Großteil der Gesellschaft gemiedenen Elementen anschlossen und zu unfreiwilligen Zuhörern Ferdinand Beauvals erniedrigten.
    Dieser hatte die Gelegenheit für günstig erachtet, eine längere Rede vom Stapel zu lassen und sprach von der Höhe eines zur Rednerbühne verwandelten Felsens auf seine Anhänger ein. Beauval verdammte aufs neue die Kapitalsherrschaft im allgemeinen und den Gouverneur von Punta-Arenas im besonderen, welcher, nach des Redners Ansicht – das natürliche Ergebnis der ersteren war. Er hob mit Aufbietung aller Beredsamkeit den Egoismus dieses Beamten hervor, welcher, aller humanen Gefühle bar, die große Zahl der vom Unglück so schwer Betroffenen hilflos im Stiche ließ, unbekannten Gefahren und dem sicheren Elende preisgab.
    Die Emigranten lauschten nur mit geteilter Aufmerksamkeit den Redeblüten Beauvals. Es war doch nur zwecklose Wortspielerei. Wenn auch noch so schöne Worte fielen, so wurde ihre Lage dadurch nicht verbessert, ihre Angelegenheit in keiner Weise verändert. Werktätige Hilfe war hier am Platze, nicht leere Worte. Aber wie geholfen werden konnte – das wußte niemand zu sagen. Angestrengt grübelten sie über die Lösung des schwierigen Problems nach, mit sorgenvoll gesenkten Blicken und bekümmerten Mienen, ohne alle Zukunftsfreudigkeit und Lebenslust.
    Da brach sich plötzlich ein Gedanke in diesen verwirrten Köpfen Licht. Derjenige, welcher ihnen schon aus so mancher bösen Lage geholfen hatte, würde sicher auch hier einen

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