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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Zusammenleben mehrerer Familien war eine stete Reibung unausbleiblich und sehr zu beklagen, vom Standpunkte der Hygiene sowohl als auch im Interesse des guten Einverständnisses. Mangel an Beschäftigung und Langeweile bedingen Zank und Streit – und man langweilte sich gründlich in diesen schneeumwehten Wohnungen.
    Die Männer fanden noch Beschäftigung für ihre Mußestunden. Sie versorgten die aller Einrichtung baren Räume mit den einfachsten Möbelstücken. Mittels ihrer Beile hieben sie Tische und Stühle zurecht, die des Nachts hinausgestellt wurden, denn dann mußte Raum für die Strohsäcke geschaffen werden. Aber für die Frauen gab es fast nichts zu tun. Sobald sie ihre Kinder betreut hatten und den Küchenbesorgungen nachgegangen waren, die der Gebrauch der Konserven sehr vereinfachte, wußten sie nichts mehr anzufangen und mußten die langen Tagesstunden mit Gesprächen ausfüllen. Und das taten sie nach Herzenslust. An Stelle der Beine machten die Zungen Bewegung und es ist – wie man aus Erfahrung weiß – oft auch der unmäßige Gebrauch der Zunge Ursache von bösen Mißverständnissen geworden. Es war nur zu verwundern, daß es nicht gleich am ersten Tage dazu kam.
    Wenn die Zeltbewohner auch weniger gut gegen Wind und Wetter verwahrt waren, so genossen sie in anderer Hinsicht manche Vorteile. Es stand ihnen mehr Raum zur Verfügung und einige Familien (dazu gehörten die Familien Rhodes und Ceroni) hatten ein ganzes Zelt zum alleinigen Gebrauch. Die fünf Japaner, welche fest zusammenhielten, bewohnten auch ein Zelt, wo sie abseits von den anderen ein abgeschlossenes Leben führten.
    Zelte und Häuser waren je nach dem Geschmacke der einzelnen da und dort erstanden. Nachdem beim Aufbau ihrer Wohnungen die Leute von niemandem geleitet worden waren, zeigte das ganze Bild des Lagers keinen bestimmten, vorherbedachten Plan. Es bot nicht den Anblick eines Marktfleckens, sondern war eine zufällige Anhäufung von Häusern, und es wäre sehr schwer gefallen, zwischen ihnen eine Straße zu bauen.
    Das war übrigens ein ganz unwichtiger Umstand, denn es handelte sich ja nicht um eine bleibende Niederlassung. Im Frühling sollten Zelte und Hütten abgebrochen werden und jeder würde dann sein Vaterland – und sein Elend anderswo finden.
    Der Lagerplatz zog sich längs des rechten Ufers des Flusses hin, der, von Westen herkommend, ihn in einem Punkte berührte, einen kurzen Bogen beschrieb, dann sich nach Nordwest drehte und in einer Entfernung von drei Kilometern ins Meer ergoß. Die westlichste aller Behausungen war am Flußufer selbst erbaut. Es war eine der zerlegbaren Hütten, von so geringer Größe, daß nur drei Personen darin Platz gefunden hatten. In aller Ruhe, ohne Auseinandersetzungen, ohne Aufregung und Geschrei, hatte sich einer der Auswanderer, Patterson, aller dazugehörigen Teile bemächtigt und – damit sein Eigentumsrecht ihm nicht streitig gemacht werden konnte – gleich zwei Gefährten die Nutznießung angeboten und damit das Maximum der Einwohnerzahl fixiert. Die Wahl dieser Mitbewohner war nicht bloßes Zufallsspiel. Patterson, welcher von schwächlicher Gestalt war, hatte sich Genossen ausgesucht, welche mit Riesenkräften begabt waren, wahre Herkulesgestalten, die das gemeinsame Heim im Bedarfsfalle gut verteidigen konnten.
    Beide waren Amerikaner; der eine hieß Blaker, der andere Long. Der erstere war ein junger Bauer von siebenundzwanzig Jahren, heiteren Charakters, aber er litt an stetem Heißhunger, was sein ganzes Dasein verbitterte. Das elende Leben, das er zu führen gezwungen war, gestattete ihm nicht, den unstillbaren Appetit zufriedenzustellen; er litt seit seiner Geburt fortwährend Hunger, so daß er sich schließlich unter die Auswanderer mengte in der Hoffnung, in der neuen Heimat endlich seinen Hunger stillen zu können. Der zweite war ein Arbeiter, Schmied seines Zeichens, mit kleinem Denkvermögen und dafür um so größeren Muskeln, ein ganz unvernünftiger Mensch, aber stark und nachgiebig wie das Eisen, das er bearbeitete.
    Was Patterson anbelangte, so war er nicht unter die Auswanderer gegangen, weil er vom Unglück verfolgt war, sondern weil er Reichtümer zu erwerben hoffte. Das Geschick hatte sich ihm günstig und feindselig in einem Atem gezeigt. Es hatte ihn allerdings arm, einsam und mittellos auf einer irländischen Straße geboren werden lassen, aber als Entschädigung war er mit einem an das Unglaubliche streifenden Sparsinn, besser gesagt, Geiz,

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