Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
bildete für den Kawdjer die gänzliche Unfähigkeit der meisten, mit ihren Gewohnheiten zu brechen.
Auf dieser einsamen Küste an den Grenzen der Welt hatten die Schiffbrüchigen ihren früheren Ideen nicht entsagt. Diejenigen Grundsätze, Konventionen und Vorurteile, die ihr Leben früher beeinflußt hatten, traten auch hier noch in Geltung. Ihre Anschauungen über das Eigentumsrecht waren ihnen beispielsweise ein Glaubensartikel geblieben. Es gab auch nicht einen unter ihnen, welcher es nicht ganz natürlich gefunden hätte, zu behaupten: »Das gehört mir!« – und niemand hatte Verständnis für das Lächerliche einer solchen Redensart, wie dies einem freiheitlich gesinnten Philosophen sogleich in die Augen sprang. Welche Anmaßung lag darin, wenn so ein gebrechliches, vergängliches Wesen irgendeinen Bruchteil des Weltganzen als seinen ausschließlichen Besitz zu erklären wagte! Aber wenn diese Anmaßung dem Kawdjer absurd und unglaublich vorkam, so wurzelte sie nichtdestoweniger tief und fest in diesen Köpfen, sie ließen sich davon nicht abbringen! Niemand war dazu zu bewegen, sich des wertlosesten Gegenstandes »aus seinem Besitze« zugunsten eines anderen zu entäußern, ausgenommen den Fall, daß er auf dem Tauschwege ein gleich wertvolles, gleich nützliches Objekt dafür erhielt. Es handelte sich dann immer um einen Verkauf. Das Wort »geben« schien aus ihrem Wörterbuche gestrichen und der Begriff aus ihrem Herzen. Der Kawdjer dachte daran, was seine Freunde, die Feuerlands-Insulaner, die in Horden unstet die magellanischen Ländereien durchschweiften und nie etwas anderes als das nackte Leben besessen hatten, von solchen Theorien halten würden.
Bei diesen Wechselgeschäften, besser gesagt Verkäufen, die zu jeder Stunde abgehalten wurden, kam es vor, daß derjenige Teil, welcher den verlangten Gegenstand hergab, nicht durch eine Dienstleistung oder ein gleiches Wertobjekt bezahlt wurde. Dann wurde der Handel in klingender Münze abgeschlossen.
Der Kawdjer bewunderte aufrichtig die anhaltende Herrschaft des Geldes. Dieses Metall hat doch nur einen angenommenen Wert, man kann es nicht essen, es schützt nicht gegen Frost und Nässe und trotzdem wird es ebenso geschätzt, wenn nicht mehr, als die greifbaren Güter, die diese Vorteile besitzen. Welch ein sonderbares und wundervolles Phänomen! Die ganze Menschheit neigt sich, in ungetrübter Übereinstimmung, vor einer an und für sich ganz nutzlosen Materie, der nur das allgemeine Übereinkommen bestimmten Wert verleiht! Sind in diesem Falle die Menschen nicht wie unvernünftige Kinder, die in ihren Spielen mit der ernstesten Miene kleine Kieselsteine verkaufen, welchen ihre Einbildungskraft fabelhaften Wert verliehen hat? Und das Spiel würde ein rasches Ende nehmen, wenn eines der Kinder daran denken und erklären würde, daß die gedachten Kostbarkeiten doch nur wertlose Kieselsteine seien!
Der Kawdjer leugnete nicht geradezu – die Berechtigung des persönlichen Eigentumes angenommen – die Bequemlichkeit, die aus der Annahme eines willkürlich bestimmbaren, repräsentativen Wertes erwuchs. Aber diese Annehmlichkeit brachte seiner Ansicht nach einen bedeutenden Nachteil mit sich, der durch alle Vorteile nicht aufgehoben werden konnte: Das Geld gestattet – bei Anerkennung eines individuellen Eigentumes – die fortwährende Formierung und Anhäufung von Einzelvermögen! Ohne den Besitz des Geldes wären die Menschen zwar in kleinlichen Verhältnissen, aber es würde nicht solch ungerechte Ungleichheit herrschen. Das gelbe Metall ist die Ursache, daß eine und dieselbe Persönlichkeit über Reichtum, Macht, Ansehen und Vergnügungen verfügt, während ungezählte andere, denen nur wenige Goldparzellen zugefallen sind, sich dem Szepter der Glücklicheren beugen müssen und für deren Vergnügungen zu sorgen haben, ohne daran teilnehmen zu können.
Aber darin irrte sich der Kawdjer wohl. Das Geld ist nur Mittel zum Zweck, um das Streben nach Besitzvergrößerung, das in der Natur des Menschen liegt, zu unterstützen.
Mangels dieses Mittels hätte er ein anderes ausfindig gemacht, welches Vor-und Nachteile in eben demselben Verhältnis aufweisen würde. Jedenfalls wäre er auch dann gewesen, was er noch jetzt ist: ein wenig logisch veranlagtes, veränderliches Geschöpf, in dem sich zu ziemlich gleichen Teilen gute und böse Eigenschaften paaren.
Das waren einige der vielen hundert Ideen für und wider, denen der Kawdjer nachgrübelte und
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