Die Schlacht der Nomen: Trucker, Wühler, Flügel
Nomen im Kaufhaus.
Vielleicht wohnten sie irgendwo unter dem Teppichboden und wurden die ganze Zeit über zu all den Orten getragen, die Masklin damals auf der Karte im Taschenkalender gesehen hatte. Ihre Namen klangen verlockend: Afrika, Australien, China, Äquator, Printed in Hong Kong, Island …
Vielleicht hatten jene Wichte nie aus den Fenster gesehen.
Vielleicht wußten sie gar nicht, daß sie flogen. Masklin fragte sich, ob Grimma dies gemeint haben mochte, als sie ihm von Fröschen in einer Blume erzählte. Sie hatte in einem Buch davon gelesen. Man konnte sein ganzes Leben an einem kleinen Ort verbringen und ihn für die
Welt
halten. Mit großem Bedauern erinnerte er sich nun an seinen Ärger. Er hatte nicht zugehört.
Nun, eins steht fest
, dachte Masklin schläfrig.
Inzwischen habe ich die Blume verlassen…
Der Frosch hatte einige jüngere Frösche zum Blattrand am Ende der Blumenwelt geführt.
Sie starrten zum Ast. Vor ihnen erstreckte sich ein dunstiger Kosmos, der nicht nur eine Blume enthielt, sondern Dutzende, woraus sich ein Problem für die Frösche ergab: Sie konnten nur bis eins zählen. Sie sahen jetzt vielfaches Eins.
Und sie starrten zu den anderen Blumen. Wenn's ums Starren geht, sind Frösche wahre Meister. Das Denken fällt ihnen wesentlich schwerer. Es wäre nett, hier darauf zu hinweisen, daß die Frösche lange über die neuen Blumen nachdachten, über das Leben in der alten und die Notwendigkeit von Forschungsreisen ins Unbekannte, auch über die Hypothese, daß sich die Welt nicht nur auf einen von Blütenblättern gesäumten Teich beschränkte.
Statt dessen dachten die Frösche: … mipmip … mipmip …
mipmip.
Aber ihre
Gefühle
fanden in einer Blume nicht mehr genug Platz.
Langsam und zögernd rutschten sie auf den Ast, ohne zu wissen, was sie dazu veranlaßte.
Das
Ding
piepte höflich.
»Vielleicht interessiert Sie der Hinweis, daß wir die Schallmauer durchbrochen haben«
, teilte es mit.
Masklin wandte sich an seine beiden Begleiter.
»Na schön«, sagte er. »Wer war's?«
»Sieh mich nicht so an«, erwiderte Angalo. »Ich habe nichts zerbrochen.«
Masklin kroch zum Rand des Loches und spähte hinaus.
Überall sah er menschliche Füße. Die meisten davon schienen Frauen zu gehören: Für gewöhnlich trugen sie die weniger praktischen Schuhe.
Man konnte viel über Menschen herausfinden, indem man ihre Schuhe betrachtete. Meistens genügte es für Nomen, ihre Aufmerksamkeit auf die Schuhe zu richten. Für gewöhnlich war der Rest eines Menschen kaum mehr als das falsche Ende von zwei Nasenlöchern, weit oben.
Masklin schnupperte.
»Hier gibt es irgendwo etwas zu essen«, sagte er.
»Was denn?« fragte Angalo.
»Das Was interessiert mich nicht.« Gurder kletterte hastig zur Öffnung.
»Was
auch immer es sein mag – ich esse es in jedem Fall.«
»Warte!« zischte Masklin und drückte das
Ding
in Angalos Hände. »Ich gehe! Sorg dafür, daß er hierbleibt, Angalo!« Er sprang durchs Loch, lief zum Vorhang und verschwand dahinter. Nach einigen Sekunden neigte er den Kopf weit genug zur Seite, um ein Auge und die gewölbte Braue darüber zu zeigen.
Der Raum war eine Art Küche. Menschliche Frauen nahmen Tabletts mit Nahrung aus der Wand. Nomen können noch besser riechen als Füchse, und Masklin spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Er mußte es zugeben: Es war ganz in Ordnung, auf die Jagd zu gehen und Dinge anzubauen, aber das Ergebnis ließ sich nicht mit den Leckereien der Menschen vergleichen, Eine der Frauen stellte das letzte Tablett auf einen Wagen und rollte ihn an Masklin vorbei. Die Räder waren fast so groß wie der Nom.
Als sich das quietschende Gebilde direkt neben ihm befand, verließ der Wicht sein Versteck, sprang und quetschte sich zwischen die Flaschen. Es war töricht und dumm, das wußte er – aber es erschien ihm immer noch besser, als im Kabel-Loch zwei Idioten Gesellschaft zu leisten.
Lange Reihen von Schuhen. Einige schwarz, andere braun.
Einige mit Schnürsenkeln, andere ohne. Vielen von ihnen fehlten Füße – die Menschen hatten sie abgestreift.
Masklin sah nach oben, als der Wagen weiterrollte. Lange Reihen von Beinen. Einige in Röcken, aber die meisten in Hosen.
Er blickte noch höher. Es geschah nur selten, daß Nomen sitzende Menschen sahen.
Lange Reihen von Körpern, drüber lange Reihen von Köpfen, vorn mit Gesichtern. Lange Reihen von … Masklin duckte sich hinter die Flaschen.
Enkel Richard
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