Die schlafende Stadt
Bricassard, vorgeblich, um sie um ein paar Kostproben ihres musikalischen Könnens zu bitten. An den Konzertabenden traf man sich und machte Sophia Komplimente. Es schien so, als sei sie in der gesellschaftlichen Machthierarchie aufgestiegen und sei damit umso begehrenswerter. Selbst im Landhaus von Émile des Prévenchères und seinem jungen Freund Prescott Wilson, dessen Vorliebe für Rosen sie teilte, war Sophia oft zu Gast.
Prescott war der einzige, der Sophia nicht nachstellte. Er war so vielfältig interessiert, dass es mit ihm nie langweilig wurde. So kam es merkwürdigerweise dazu, dass Sophia ausgerechnet bei ihm die wirklich unbeschwertesten Stunden seit ihrer Kindheit verlebte. Er wirkte auf Sophia wie ein Bruder, wie ein kleiner Bruder manchmal. Prescott war zuweilen albern wie ein Kind. Er schnitt Grimassen, verzierte die zum Abendmenü vorbereitete Mousse au chocolat mit zweideutigen Symbolen aus Himbeeren und verknotete seinem väterlichen Freund sämtliche Schnürsenkel. „Mein böser, kleiner Bube!“ drohte Monsieur des Prévenchères dann mit gespielter Entrüstung. Alle Zwanghaftigkeit und gequälter Ernst der vornehmen Gesellschaft wich von Sophia in dieser Zeit.
Claudine beobachtete die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Einerseits freute sie sich an Sophias Unbeschwertheit, andererseits fühlte sie ihren Einfluss schwinden. Am sichersten hatte sie sich gefühlt, solange sie Sophias einziger Halt war. Doch sie wusste wohl, dass sie ihr Glück schwerlich auf dem Unglück von Sophia aufbauen konnte. So suchte sie Sophia weiterhin durch Liebe zu gewinnen.
Dies wurde für Claudine oft zur Qual. Aus Furcht, sie zu vertreiben, hielt sie sich zurück. Dann wieder konnte sie sich nicht an sich halten und erdrückte Sophia förmlich mit leidenschaftlichen Umarmungen. An einem Nachmittag schien es endlich soweit. Es war ein wundervoller Sommertag gewesen, den sie draußen verbracht hatten. Sie waren durch die blühende Landschaft gestreift, hatten dem Gesang der Vögel gelauscht und dem Rauschen des Windes. Mit dem Wind in ihrem Haar sah Sophia bezaubernd aus. Dann waren sie an jenen kleinen See im Wald gelangt. Das Sonnenlicht zauberte helle Flecken und Kringel auf den üppig mit Gras und Blumen bewachsenen Boden, und die Lichtreflexe tanzten auf dem glatten Wasserspiegel.
Claudine gab sich heiter und neckisch. Keck entledigte sie sich ihrer Unterkleidung und watete, ihren Rock sorgfältig hochgerafft, ins seichte Wasser. Mit qualvoller Begehrlichkeit betrachtete sie Sophia, wie diese ihre schlanken Füße entblößte. Der Anblick ihrer nackten Beine war herrlich, die Anmut, mit der sie jetzt vorsichtig ihre Zehen in das Wasser tauchte, war überwältigend. Küssen wollte sie sie, diese wundervollen Füße, diese Knie, die Schenkel, diese heiligste Stelle zwischen den Beinen ...
Stattdessen blieb ihr nur das harmlose Fangenspiel, Sophia mit Wasser zu bespritzen und lachend sich von ihr verfolgen zu lassen. Auf dass sie sie erwische und ach! mit ihren Armen umfange!
Sophias Griff war herrlich kraftvoll, obwohl ihre Arme so schlank waren. Beide landeten im warmen Gras, Claudine auf dem Rücken, Sophia über ihr. Sie lachten. Dies war der Moment. Claudine sah Sophia in die unbeschwerten Augen und streichelte ihr Gesicht. Dann küsste sie sie auf den Mund, endlich. Keine Gegenwehr! Claudine, ermutigt, öffnete ihren Mund leicht und schob ihre Zungenspitze vor. Mit ihren Händen fuhr sie über Sophias Rücken, an ihrem Gesäß vorbei und wühlte sich bebend durch die unzähligen Falten ihres Rockes, bis sie endlich die nackten Beine erreicht hatte. Zitternd vor Erregung strich sie an ihnen entlang. Ihre lüsterne Zunge schlängelte sich tief in Sophias Mund.
Sophia riss sich plötzlich los. Ein plötzliches Gefühl des Ekels hatte die anfängliche Neugier nach Verruchtheit und Verbotenem jäh abgelöst. Sie fühlte Claudines Hand plötzlich von hinten an ihrem Geschlecht, wie sie sich zwischen den Hinterbacken gierig vorarbeitete und kurz davor war, mit dem Finger einzudringen. In einem Moment hatte sie zwei Meter Abstand zwischen sich und Claudine gebracht.
„ Was tust du?!“
Sophia schrie fast.
Claudine war noch halb im Rausch und begriff erst langsam.
„Verzeih mir!“ stammelte sie dann, „Es tut mir leid... Bitte sei mir nicht böse ...“
Sophias Herz klopfte noch immer wie wild. Es war nicht so, dass sie dieses Ereignis nicht irgendwann erwartet hätte. Doch jetzt, wo es geschah,
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