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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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einziges Mal aufzusehen. Madame sagte kein Wort und würdigte Sophia nicht eines Blickes.
    Sophia konnte die Ankunft Claudines diesmal kaum erwarten. Claudine merkte sogleich die Anspannung in Sophias Gesicht, obgleich Sophia wieder ihre außerordentliche Gefasstheit zeigte. Kaum hatte sich die schwere Mahagonitür des Musikzimmers geschlossen, platzte Sophia mit den Neuigkeiten heraus. Sie tat es ruhig, fast tonlos. Claudine spürte einen leisen Triumph.
    „Dann ist es jetzt an der Zeit. Du wirst dieses Haus verlassen. Ich kann nicht dulden, dass Madame ihre permanenten Erniedrigungen durch Monsieur an dir auslässt. Soll sie dies doch mit ihrem Hurenbock von Gatten austragen.“
    Sophia sah sie an. „Ich möchte dir nichts vormachen, liebste Claudine. Ich weiß, was du von mir willst, aber ich bin nicht soweit, dass ich es dir geben könnte ...“
    „Mein Angebot steht fest und du weißt es. Komme zu mir, noch heute. Ich werde Armand anweisen, um vier Uhr nachmittags deine Koffer zu holen.“
    Sophia umschlang sie dankbar und drückte sie an sich. Claudine durchströmte ein heißes Gefühl des Glücks. Sie schloss die Augen, um Sophia besser bei sich zu spüren. Wie sehr sie diesen schlanken und doch so kraftvollen Körper begehrte!

    Armand war pünktlich erschienen und kümmerte sich um die Koffer. Sophia kleidete sich an. Onkel Edgar war außer Haus, und Madame befand sich in Gegenwart ihres Besuches im Salon, um dort ihren Kaffee einzunehmen. Dies war ein großartiger Anlass für einen entscheidenden Schlag zum Abschied. Sophia lächelte leise bei dem Gedanken, was sie ihrer Tante unverhüllt mitzuteilen hatte.
    Angespannt und innerlich höchst erregt, äußerlich aber äußerst beherrscht klopfte Sophia an die Tür und öffnete sie. Dann betrat sie den eleganten Salon. Madame saß am Tisch, und mit ihr noch sieben weitere Damen unterschiedlichsten Alters. Sophia erkannte die Marquise von Saint-Méran, Madame Delacroix, die ihr gleich zulächelte, die geschwätzige Madame Glucksbourg mit ihrer Tochter und die ungemein fette Madame de Bricassard, die sich gerade von François ein weiteres Stück Schokoladentorte mit Bitterorangenfüllung aufgeben ließ. Die anderen kannte Sophia nicht, aber ihre Kleidung wies sie als vornehm und einflussreich aus.
    „Mademoiselle, ich hoffe, Sie haben eine guten Grund, unsere Konversation zu stören“, hob Madame Hirschberg sogleich an.
    „Das habe ich, verehrte Tante. Ich möchte mich von Ihnen verabschieden.“
    „Ich wüste nicht, dass ich Ihnen Ausgang gestattet hätte.“ Madame lächelte überlegen.
    „Ich habe in der Tat keinen Ausgang. Ich nehme mir diese Freiheit selbst. Ich verlasse dieses Haus für immer.“
    „Liebes Kind, wann Sie dieses Haus verlassen, bestimme ich. Ich und Ihr Onkel haben familiäre Verpflichtungen, wie Sie wissen.“
    „Ich freue mich, dass Sie dies ansprechen. Dies ist ja der Grund meines Abschiedes. Sie haben diese Verpflichtungen aufs Gröbste vernachlässigt. Daher erlaube ich mir nun, Sie gar nicht erst zu fragen, was ich darf und was nicht.
    Ihr Gatte, der mein Onkel ist, fasste mir an den Busen und an andere intime Körperteile, um an mir Notzucht zu verüben. Nur mit List konnte ich mich zur Wehr setzen. Weil er an Ihnen weder Lust verspürt noch Befriedigung findet, beschläft er des Nachts das Dienstpersonal von hinten auf dem Küchentisch. Und Sie selbst, werte Tante, ergötzen sich daran, die eigene verdorrte Weiblichkeit an mir durch Hass und Demütigung auszuleben, weil ich eine Jugendlichkeit und Schönheit habe, von der Sie sich schon vor Jahrhunderten verabschiedet haben, wenn Sie sie überhaupt je gekannt haben. Sie sind zu bedauern. Ich wünsche Ihnen allen eine schönen Tag.“
    Madame Hirschberg war kreidebleich geworden. Ihr faltiger Mund war zu einem dünnen violetten Strich geschrumpft. Die Kaffeetasse in ihrer Hand zitterte. Madame de Bricassard, die Backentasche voller Kuchen, hatte vergessen zu kauen und Madame Glucksbourg versuchte krampfhaft, ein Grinsen zu unterdrücken. Die anderen sahen sich verstohlen um und platzten offenkundig vor Neugierde auf weitere Details.
    Sophia lächelte höflich, machte einen Knicks und wandte sich ab. Dumpf fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.

    Weihnachten verging, das neue Jahr begann, und dann kamen auch wieder die ersten warmen Tage. Sophia hatte durch ihren effektvollen Abgang aus dem Hause Hirschberg keinerlei Einbußen. Die erste, die sie einlud, war Madame de

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