Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
Vom Netzwerk:
war.
    „Vorgestern haben Sie zum wiederholten Mal die Infusionsflasche bei einem Patienten unter dem Kopfkissen liegenlassen! Zwei Patienten haben sich über Sie beschwert wegen despektierlicher Bemerkungen! Und Ihre klugscheißerische Art kommt beim übrigen Pflegepersonal verdammt schlecht an. Sie sind hier Hilfs pfleger! Sie benehmen sich, als seien Sie hier der Stationsarzt – bei den Ärzten sind Sie damit ganz unten durch! Mann, was machen Sie für eine Scheiße!“
    Ulrich war es nicht grundsätzlich unangenehm, Untergebene lautstark herunterzuputzen. Im Gegenteil, er genoss seine Macht und demonstrierte gern, wer hier den höchsten Rang hatte. Bei diesem unmotivierten, selbstgefälligen Sack von Zivildienstleistendem aber war er besonders in seinem Element. Er musste hier noch nicht einmal besonders aufmerksam sein, um einen Grund zum Draufhauen zu finden. Dieser aufgeblasene, eitle Fatzke lieferte alles frei Haus.
    Robin wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. Die Kränkung, die er gerade zu erleiden hatte, war natürlich ein Unding, eine Unverschämtheit, die er sich merken würde. Der miese kleine Kläffer von vierschrötigem Stationspfleger mit blondem Bürstenschnitt würde dies noch bereuen. Andererseits hatte es wenig Sinn, sich zu verteidigen. Er entschied sich für ein überlegenes Lächeln. Letztendlich stand er über solchen Dingen.
    Dem Stationspfleger pochten die Adern vor Zorn. Diesem Kerl würde das Grinsen schon noch vergehen. Von den anderen Kollegen wusste er bereits, was die meisten von Robin Frauendorff hielten. Letztendlich würde sich alles von selbst regeln. Er würde gemobbt werden ohne Ende. Da er erheblich dümmer war als er selbst von sich dachte, würde alles eskalieren. Und dies bedeutete wiederum Ärger auf der Station. Notfalls würde er ihn entfernen lassen.
    Er beugte sich wieder seinem Delinquenten entgegen.
    „Sagen Sie: Verstehen Sie überhaupt, was ich Ihnen da sage?“
    „Ja, natürlich“, gab Robin zurück, „klar weiß ich, was Sie meinen. Ich verstehe, dass Sie aus Ihrer Perspektive so denken.“
    Das war der Gipfel der Unverschämtheit.
    „Herr Frauendorff, kommen Sie mir bloß nicht mit Ihrem pseudopsychologischen Gewäsch!“ bellte Ulrich. „Es geht Sie einen feuchten Kehricht an, was ich denke! Ich sage Ihnen hiermit, was Sie sofort zu ändern haben, wenn Sie sich hier nicht noch unbeliebter machen wollen, als Sie ohnehin schon sind! Es spielt auch überhaupt keine Rolle, ob Sie das einsehen oder nicht! Es wird hier alles so gemacht, wie ich das sage, Punkt! Diskussion beendet!“
    Robins Lächeln hielt sich wie eine bröckelnde Gipsmaske. Wenigstens war jetzt endlich deutlich zu sehen, dass ihm die Situation unangenehm war.
    „Haben Sie das jetzt endlich verstanden?!“
    „Ja“, sagte Robin. „Natürlich. Sie haben vollkommen recht.“
    Ulrich konnte den blasierten Tonfall nicht überhören. Nicht der Hauch einer Einsicht.
    „Na schön“, sagte er spöttisch, „ihre Einsicht macht mich überglücklich. Zur Sicherheit gibt’s eine bisschen Nachhilfe. Sie werden heute Abend ein paar Stündchen länger bleiben und den ganzen Schlamassel hier ordnungsgemäß abarbeiten.
    Bis zum letzten Laken“, fügte er genießerisch hinzu.
    „Also, vertragsgemäß ist das ja nicht ...“, sagte Robin.
    „Hingerotzte Arbeit ist auch nicht vertragsgemäß!“ brüllte Ulrich, „kommen Sie mir bloß nicht so! Wissen Sie, dass Sie hier für liederliche Arbeit auch in den Knast gehen können?! Ich kann mich gerne vertragsgemäß verhalten, wenn Sie das wünschen!“

    Robin war es nicht gewöhnt, kritisiert zu werden. Aus seiner Sicht war Stationspfleger Ulrich nichts als ein machtbesessener Wichtigtuer. Seine eigenen Verfehlungen hatte Robin als Bagatellen eingeordnet. Die vielen medizinischen Bücher und Artikel, die er bereits seit Schulzeiten gelesen hatte, überqualifizierten ihn ohnehin für diese Tätigkeit. Im Grunde sah Robin sich bereits als Arzt. Seine ihm übergeordneten Fachkollegen vom Pflegedienst sah er dagegen als tumbe Dienstleister, denen jegliches Gefühl für selbständiges Denken und Eigeninitiative völlig abging. Kranken schwestern nahm er ohnehin fachlich nicht ernst, da er Männer grundsätzlich für intelligenter hielt als Frauen. Eine gewisse Hochachtung empfand er lediglich für Oberarzt Zwickl und für den Chefarzt Professor Gutmann. Der Respekt für seinen anfangs sehr verehrten Kunstdozenten Grabiansky dagegen begann ein wenig

Weitere Kostenlose Bücher