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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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zu bröckeln, seitdem dieser nicht so recht auf Robins Talent einzugehen schien. Er sollte sich einen besseren Künstler suchen.
    Nach wie vor ungetrübte Bewunderung empfand er für seinen alten Freund Berthold. Berthold war schon immer ein Freidenker gewesen, der Dinge tat, auf die kein anderer je gekommen wäre. Berthold hatte sich in seiner Phantasie nie einschränken lassen, machte das, wovon er überzeugt war – und hatte Erfolg damit! Dass er bereits im Alter von zwanzig Jahren einen erfolgreichen Roman vorgelegt hatte, war typisch für ihn. Dies bewunderte Robin zutiefst. Ja, Berthold war wahrhaft würdig, Robins Freund zu sein.
    Sehr beunruhigend empfand es Robin, dass im gleichen Krankenhaus eine junge Frau lag, die er als vom Teufel geschickt ansah. Sie wäre in der Lage, sein ganzes Leben zu zerstören.
    In seinem Gedächtnis nämlich hatte sich der ganze Tathergang völlig verändert. Robin erinnerte sich wütend an Lenis aufreizende Art, mit der sie ihn umgarnt und aufgestachelt hatte. Ihn, der dadurch in aufrichtiger Liebe entflammt war, habe sie dadurch völlig in der Hand gehabt, er sei wie von Sinnen gewesen. Dann aber hatte sie ihn grausam fallengelassen, ihn mit deutlicher Lust an seinem Schmerz der Lächerlichkeit preisgegeben. Dadurch war alles eskaliert, er hatte sie seine Körperkraft spüren lassen. Erst hatte sie sich heftig gewehrt, dann hatte sie sich ihm dann doch ergeben, die Hure. Er hatte es ihr dann ordentlich besorgt. Irgendwie waren doch alle Frauen letztendlich Nutten. Ihre Verletzungen und ihr scheinbares Sterben waren hysterische Inszenierungen gewesen und in Wirklichkeit war alles gar nicht so schlimm. Deswegen war sie auch längst von der Intensivstation verlegt worden.
    Intensivstation! So ein Quatsch. Übervorsichtiger, hysterischer Nonsens. Der Polizei hatte sie auch nichts Konkretes gesagt, sicher aus gutem Grund, weil sie nämlich wusste, dass sie eigentlich selber schuld war. Er, der Sensible, hatte sich wie üblich einen Riesenkopf um alles gemacht. Eigentlich war er das Opfer.
    Im Grunde waren sie beide quitt, obgleich Robin noch großen Groll gegen sie hegte. Vielleicht würde es ihr ja wenigstens eine Lehre sein, Männer künftig nicht mehr zum Hampelmann zu machen, die eingebildete Zicke.
    Hocherhobenen Hauptes stolzierte Robin durch den Korridor.

    Berthold brütete über seiner Tastatur. Ideen waren reichlich vorhanden, aber es haperte derzeit mächtig an der Ausführung. Das Romankonzept las sich nun doch recht gut, die bisherigen Kapitel hielten seiner selbstkritischen Analyse mehr als stand. Richtig gut war das sogar, was er bisher geschrieben hatte – nur, dass nichts Neues hinzukam. Es nützte nichts, wenn die Dinge in seinem Kopf waren, aber nicht auf dem Papier.
    Vermutlich waren es einfach zu viele Gedanken, die ihn durchströmten. Vor allem zu viele verschiedene. Die brutal misshandelte Frau ging ihm nicht aus dem Kopf. Ihn packte eine ohnmächtige Wut, wenn er an den Täter dachte und er hatte wüste Phantasien, was er mit einem solchen Psychopathen am liebsten anstellen würde. In solchen Augenblicken wünschte er sich die mittelalterlichen Foltermethoden wieder zurück. Der Anblick des durch die Faustschläge entstellten, sonst so schönen Gesichtes dagegen rührte eine schmerzhafte Traurigkeit in ihm auf. Am liebsten hätte er sie jeden Tag besucht, aber er fürchtete, sie dadurch noch mehr zu belasten, als sie es ohnehin schon war. Außerdem wachte eine zerberusartige Krankenschwester über sie, so dass er sich zur Zurückhaltung zwang.
    Der Besuch bei Rebecca Goldblatt hatte ihn außerdem auf derart viele neue Ideen gebracht, dass er ständig darüber nachdachte. Er wusste, dass es anstand, die neuen Spuren weiterzuverfolgen. Auch quälte ihn die ständige Furcht, der Dämon seiner entsetzlichen Angst könnte wiederkommen. Wobei es eine große Erleichterung, ja Erlösung für ihn war, dass es eben kein Dämon war, sondern eine verborgene Logik, die allem zugrunde lag. Hauptsache, er war nicht verrückt.
    Seine Gedanken umkreisten die Rotweinflasche in seinem Einkaufskorb. Nein, wenn er jetzt schon mit geistigen Getränken anfing, würde er erst recht nichts mehr zu Papier bringen.
    Leider wurde er nun zum wiederholten Mal von einem Dämon ganz anderer Art heimgesucht in Gestalt von Robin, der ihn bereits die ganze Woche über mit Anrufen belästigt hatte. Alle Anrufe waren zunächst getarnt als besorgte freundschaftliche Nachfragen über Bertholds

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