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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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Valentins vor Augen …
    Nicht schlecht, Rottmann hat das Bild sofort auch auf dem inneren Film. Es gefällt ihm.
    Sie rückt ihre Kappe zurecht, schiebt eine Strähne hinters Ohr und winkt der überall gleichzeitig anwesenden Frau von Bülow zu, die ein paar halbgefüllte Sektgläser auf einem Tablett balanciert.
    Nur um die Zeit zu überbrücken, die ja nicht mehr lange dauern kann, sagt die Bülow in die verstreute Runde hinein.
    Meine Dame, mein Herr, das beruhigt.
    Und schon setzt die Wirkung ihrer Stimme ein, sowohl bei Margot, als auch bei Rottmann. Man fühlt sich sofort an der richtigen Stelle, ja aufgehoben, beinahe zu Hause in Gegenwart dieser Frau.
    Und wieder: Gar keine Neuigkeiten? Nichts? Ist der Professor denn überhaupt nicht zu erreichen?
    Margot legt die Lippen an das kühle, dünne Glas, dabei merkt sie, dass Rottmann sie beobachtet. Sie sagt nichts, sie hält stand. Sie wendet ihm nicht das Gesicht zu, sie wartet nur ab und beblinzelt ihn aus dem linken Augenwinkel … am liebsten möchte sie so bleiben, den ganzen Abend. Ihretwegen bräuchte jetzt gar nichts mehr zu passieren.
    Der Schlafpapst kann bleiben, wo der Pfeffer wächst, du rührst dich nicht mehr von der Stelle. Du sagst auch nichts mehr, nur ja nicht, keine Dummheiten mehr. Du stellst jetzt nichts an, was du nachher bereuen könntest.
    Rottmann denkt, sie könnte eine Schauspielerin sein, die sich auf eine Rolle vorbereitet, vielleicht die einer Schlaflosen … ihr weiches Kinn, die Fältchen unter ihren Augen, die in Abständen von einem leichten, fast nicht zu sehenden Zittern bewegt werden, was wie eine stets bebende Unsicherheit wirkt … Er betrachtet sie von der Seite. Die nach oben gestülpte Nase sieht aus, als habe sie soeben einen Schnupfen überstanden, und er muss an eine Stelle bei Nabokov denken, in der er die geröteten Nasenflügel seiner erkälteten Frau Vera beschreibt. Rottmann fällt ein, dass er damals beim Lesen dieser Stelle fand, die Beschreibung sei eine Liebeserklärung an Vera. Margot hält das Glas an den Mund, ohne sich entschließen zu können, einen Schluck zu nehmen.
    Rottmann sieht seine Tochter vor sich. Margot war einer der Namen, den seine Frau in Erwägung gezogen hatte damals, 1981, als sie geboren wurde, als sie in Berlin wohnten und als er versuchte, von seinen Bildern zu leben. Er mochte den Namen nicht, er verband ihn mit einer Tante, die von der Familie wegen ihres Freiheitsdrangs bewundert wurde. Sie war ohne männliche Begleitung durch Nordafrika gewandert und galt als die Emanze der Sippe. Eine Szene mit dieser Tante wird er nie vergessen. Als er ihr einmal bei einem Familienfest die Hand gab, sagte sie etwas mit wichtiger Stimme zu ihm, das ihn zutiefst erschreckte.
    Pass auf, Kleiner, sagte sie, du musst dich vor dem Verrückten hüten … und sie machte eine Pause, während der sie ihm auf die Stirn tippte … er roch den Kelleratem, der ihren welken Lippen entströmte, und bekam große Angst.
    Und weißt du, wie der Verrückte heißt, vor dem du dich hüten musst? Er schüttelte schüchtern den Kopf.
    Nein, du weißt nicht, wie der Kerl heißt, vor dem du dich hüten musst? Sie zog an ihrer Zigarette und lachte den Rauch aus ihrem großen Mund. Der kleine Rottmann sah hoch und starrte auf ein enormes Kinn, an dem eine Art Truthahnlappen hing, und auf große Zähne, bevor er den Kopf wieder senkte, um dem Kellergeruch auszuweichen. Da wurde sein Gesicht von zwei harten Händen gepackt, und Tante Margot nannte seinen Namen.
    Hans! Hast du verstanden? Ein gewisser Hans könnte dir mal zum Verhängnis werden, du kennst ihn doch, diesen Kerl? Na, Kleiner, du verstehst mich doch, oder?
    Und sie lachte angesichts ihres Scherzes. Ihr Lachen war sehr laut und für die ganze Familie bestimmt. Sie war die Einzige, die lachte.
    Na, da habt ihr ja einen tollen Helden in die Welt gesetzt!
    Rottmann, damals sechs oder sieben, verstand nichts, aber er hörte den Spott in der Stimme der Tante. Schließlich lachte er auch, weil die Tante lachte, aber ihm war zum Heulen zumute. Das ›Machdirnichtsdraus‹ seiner Mutter machte die Sache noch schlimmer. Später begriff er, dass Tante Margot ihn regelrecht vorgeführt hatte. Und als er nach Jahren erfuhr, dass diese Tante erfüllt war von Hass gegen seine Mutter, schämte er sich für sein Mitlachen. Denn

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