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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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erst da begriff er, dass er über seine eigene Erniedrigung gelacht hatte, die eigentlich seine Mutter treffen sollte. Was ihn aber besonders verletzte, war, dass die Tante irgendwie recht zu haben schien. Während einer Psychotherapie sprach er viele Stunden über nichts anderes als über diesen Auftritt des Teufelsweibs, wie er sie später für sich nannte. Der Name Margot kam also für seine Tochter nicht infrage.
    So in Gedanken, kehrt er wieder in die Gegenwart zurück. Die ein bisschen vorstehende Oberlippe seines Gegenübers reizt ihn, dieses nicht mehr junge Gesicht, dessen Haut von leichtem Flaum überzogen ist wie bei der in die Jahre gekommenen Tony Buddenbrook. Ein zarter Flaum, der dem Gesicht etwas Weiches verleiht, etwas von der wehrlosen Müdigkeit einer enttäuschten Frau.
    Dass Margot vorhin nur ihren Vornamen nannte, hat nichts mit der Mode, jeden zu duzen, zu tun, die Rottmann so zuwider ist. Wenn sie sich jemandem vorstellt, beschränkt sie sich immer auf die Nennung ihres Vornamens, weil das ›Denner-Lenz-Schönburg‹, wie ihr Familienname lautet, stets zu Verwirrungen führt. Das regelmäßige Unverständnis im Gesicht des Gegenübers bei dieser komplizierten Reihung ist ihr so unangenehm, dass sie meistens ins Stottern dabei kommt. Die Leute glauben dann, sie kokettiere mit einer geheimnisvollen Herkunft. Jedenfalls hat die volle Namensnennung immer zur Folge, dass sie Erklärungen abgeben muss – genau das, was ihr so sehr gegen den Strich geht. Denn in der knapp bemessenen Aufmerksamkeit solcher Momente ziehen Erklärungen leicht weitere Irrtümer nach sich. Allein schon bis das akustische Verständnis hergestellt ist, nimmt meist umständliches Fragen und Antworten in Anspruch. Dann kommt regelmäßig der Versuch des Gegenübers, den Namen im Ganzen zu wiederholen, wobei dem ›Schönburg‹ oft ein ›von‹ zugeeignet wird, was bei Margot stets einen Lachreiz auslöst. Denn in diesem hinzuerfundenen kleinen ›von‹ äußert sich das ganze Missverständnis ihrer Existenz. Dass man sie für jemanden hält, der sie gar nicht ist. Schon mehrmals hat sie überlegt, sich des ›Schönburg‹ zu entledigen, aber ihre Tochter bat sie inständig, den Namen, den auch sie trägt, beizubehalten. Die anderen beiden Namen, die als Doppelname zusammengehören, sind der Nachname ihres Sohnes, der aus dem gleichen Grund wie seine Schwester darauf besteht, dass sie seinen Namen nicht ablege. ›Bei so wenig Familie wie bei uns sollen die Leute wenigstens wissen, dass du meine Mutter bist.‹ Eine Bemerkung, die sie damals in tiefe Niedergeschlagenheit stürzte. War sie eine so unzulängliche Mutter?
    Darf ich Sie stören? … Rottmann ist, als müsse er an eine Tür klopfen.
    Sie sehen gar nicht so aus, als seien Sie eine von uns …
    Er wollte etwas Nettes sagen, um sie aus ihrer Versunkenheit zu locken.
    Von uns?
    Von uns Losern … uns Schlaf-Losern …
    Margot lacht.
    Oh ja, sie kapiere, wovon er rede. Es habe sich angehört, als gehe es um eine verschworene Gemeinschaft, vielleicht die Jünger des Schlafpapstes. Und sie will wissen, ob er sich da auskenne.
    Nein, und wie es aussieht, bin ich nicht der einzige Neuling hier.
    Sie leert ihr Glas.
    Und wieso sehe ich nicht so aus?
    Sie wirken zwar ein bisschen erschöpft, aber Sie haben nicht die Ausstrahlung dieser schrecklich müden Frauen, die immer wirken, als –
    Er überlegt. In seiner Vorstellung tauchen laszive weibliche Gestalten auf, die Augen dunkel umringt …
    Sie sehen nicht krank aus …
    Sondern?
    Sie ist jetzt gespannt. Er scheint sich vergaloppiert zu haben. Könnte mir auch passieren, denkt sie.
    Irgendwie anders, nicht so am Ende angekommen, sagt er forsch.
    Sie lügen!
    Ihre Stimme erinnert ihn an die Stimme seiner Tochter, wenn sie ihn Loser nennt, Schlaf-Loser. Das Wortspiel war ihre Erfindung gewesen, eines Morgens, als ihm einmal wieder am Frühstückstisch die Zeitung aus der Hand glitt.
    Seine Schlaflosigkeit ist von jeher Familiensache, Anlass von Scherzen, Witzen, Anekdoten, die bei allen möglichen Gelegenheiten zum Besten gegeben werden.
    Ich fürchte, ich weiß, wie ich aussehe … sagt Margot, Und ich weiß auch, dass ich mir die Haare hätte färben sollen. Aber selbst das hab ich nicht geschafft. Mein Wagen steht irgendwo bei Berlin an

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