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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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Fritz! Bringen Sie der alten Moll noch einen Alten Fritz, so einen goldenen güldenen.
    Was für ein Quatsch, diese Preußen. Die holen wirklich alles aus der Kiste. Der Alte hätte nur Hohn und Spott dafür übrig … aber Freude hätte er an dem jungen Kellner gehabt, wie er den dienstbaren Geist spielt. Er spielt den Untertan und steht in Wirklichkeit haushoch darüber. Er weiß, wie man so einer Tante wie mir das Fell krault. Und wie er aussieht! Ein so schönes Profil, die Nase fast bis zur Oberlippe, und diese Biegung nach unten und die aufgeschwungenen Nüstern! Ich wüsste genau, wo ich meinen Kuss hinsetzen würde. Neben den Nasenflügel, in die Nische zwischen Wange und der fingernagelgroßen Wölbung … eine Nase, bei deren Anblick ihr das Wort ›wolllüstig‹ einfällt …
    Moll! Hörst du jetzt bitte auf! Sagt sie zu sich selbst.
    Wer hätte gedacht, dass es hier eine so feine Patée gibt, zergeht einem auf der Zunge … der Schlafpapst scheint mit unlauteren Mitteln zu kalkulieren. Nach so einem Genuss ist die Schlafbereitschaft erhöht wie bei einem satten Säugling. Verdammt … Moll, du denkst zu viel ans Essen, das kann nicht gutgehn … aber macht nichts, solange du diese peinliche Sache vergisst, diese schrecklich peinliche Sache. Wie konntest du nur!
    Wenn du doch endlich von diesen Einbildungen loskommen könntest, die dir noch das Kreuz brechen werden.
    Kann man tatsächlich einen Tagtraum für Wirklichkeit halten?
    Moll, Moll, Moll … dein ganzes Wahrnehmungssystem spielt verrückt. Das ist der einzige Grund, weshalb du diesem Schlafpapst nachrennst. Du denkst, du wärst wach, aber du bist es nicht. Du hast anscheinend im Dösen Dinge erlebt, die dir hinterher wie wirklich vorkommen. Wenn ich nur an den Ton denke, in dem dieser Therapeut mit mir gesprochen hat. Erholen Sie sich, Frau Moll, das ist alles zu viel für Sie. Von Hypnagogie hat er gesprochen. Hypnagogie, was für ein schönes Wort … fast so schön wie Amygdala … diese eleganten Hirnvokabeln … deine nicht funktionierende Amygdala, die dir eine trügerische Einschätzung deiner selbst suggeriert. Die dir nicht die Angst einjagt, die sie dir einjagen müsste bei deinem katastrophalen Geisteszustand. Ich höre Großmutters Stimme: Kindgottes, warum bist du nur so? Jeder Mensch ist doch froh, wenn er endlich in die Kissen sinken kann.
    Das hast du jetzt davon, Moll.
    Alles schwebt.
    Wäre eigentlich kein schlechter Zustand, wenn du nur diese Einbildungen los wärst. Man könnte Kameras in der Wohnung installieren, ein Überwachungssystem. Dann kannst du jede Sekunde deines Lebens nachträglich ansehen. Aber wie soll das gehen? Wenn du jede Sekunde deines Lebens kontrollieren willst, brauchst du doppelt so lang Zeit zum Leben. Und wenn du dabei einschläfst, während du dein Leben vom Vortag ansiehst, und wenn du dabei wieder Dinge träumst, die du hinterher für wirklich hältst, dann musst du auch noch den Film vom Anschauen des Films anschauen. Oder kann man in das Überwachungssystem eine Kontrolle einprogrammieren, die Hypnagogie erkennt? Eine smart camera sozusagen, die so intelligent ist, dass sie merkt, wann du anfängst zu dösen und zu fantasieren. Mein Gott, wie umständlich!
    Warum musst du so kompliziert sein, du idiotisches Leben?
    Diese Exzentrikerin mit der Kappe dahinten, die eben so intensiv hergeschaut hat, als hätte ihr Mann über mich etwas gesagt, das ihre Neugier weckt – was die wohl für ein Leben hinter sich hat? Was könnte er denn gesagt haben? Sein Blick hat etwas zu Neugieriges, Undistanziertes. Vielleicht wundert er sich, dass hier eine so junge Person wie ich auftaucht unter all diesen Senilitäten? Für den seh ich wahrscheinlich frisch und knackig aus … Achdumeinegüte, was bringt der Kellner denn da? Hab ich das bestellt? So ein Riesenschnitzel? Das hängt ja fast übern Tellerrand … tatsächlich, er kommt direkt auf mich zu, was für schmale, große Hände er hat …
    Meine Dame, das Wiener …
    Verzeihung, aber, kann das nicht ein Irrtum sein?
    Wieso Irrtum?
    Habe ich das bestellt, junger Mann?
    Jawohl, Madame, das haben Sie bestellt, wollen Sie den Bestellschein sehen? Sie wollten doch noch wissen, ob es wirklich Kalbfleisch und nicht Schwein …
    Ach ja, Pardon …
    Moll, Moll, Moll, das sieht dir

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