Die Schlaflosen
Kerl, und fing an, mich zu fürchten.
Rottmann erinnert sich an die Zeit, als er noch Künstler war. Auch er hatte eine Phase, in der er mit Puppen experimentierte. Das heiÃt, er besorgte sich ausrangierte Schaufensterpuppen und gestaltete sie, indem er sie in Mullbinden wickelte und mit Gips überstrich. Das Ganze fand als öffentliche Aktion in Galerien oder in Theatern statt, dazu spielten Musiker Stücke von lebenden Komponisten. Einmal sogar war der Maestro selbst zugegen, ein eitler Typ. Oder Dichter lasen Texte, oder eine Freundin, die keine Sängerin war, aber unbedingt öffentlich auftreten wollte, begleitete die Aktion mit sphärenartigen Gesängen, die er bald nicht mehr ertragen konnte. Und einmal lag eine von ihm gestaltete Puppe nackt auf einem groÃen Tisch, beladen mit Früchten, die von den Gästen dann verspeist wurden. Dazu las eine etwas verstörte Schriftstellerin aus ihrem Roman, der âºIdas Ideeâ¹ hieÃ.
Woran denken Sie jetzt?
Margot ist nicht entgangen, dass es jetzt Rottmann ist, der in Gedanken versinkt. Und jetzt ist sie es, die sich in seine Richtung beugt, ihr Glas hebt und ihn bittet, nachzuschenken. Rottmann schüttelt den Kopf. Es ist ein düsterer Duft, der mit den Szenen von damals aufzieht. Er kann sich nicht mehr genau daran erinnern, nur an den dunklen Geschmack seines Scheiterns.
Ach, an nichts weiter, sagt er. Oder besser, an verpasste Gelegenheiten â¦
Und an welche? Wollen Sie darüber reden?
Der Vorsichtston in Margots Stimme bewirkt das Gegenteil ihrer Absicht. Rottmann stellen sich die Haare auf. »Willst du darüber reden?« â dieser Satz trifft ihn regelmäÃig an empfindlichster Stelle. Verständnisvolle Frauen, die etwas aus ihm heraushorchen wollen! Muss das sein?
Nein, sagt er barscher als gewollt. Und schiebt die Frage hinterher: Und wie ist es bei Ihnen weitergegangen? Wenn ich fragen darf?
Trotz des Erfolgs sei die Firma an den Existenzrand geraten. Sie habe zu lange gezögert, Konkurs anzumelden, und irgendwann habe sie es nicht mehr geschafft und den Ãberblick verloren. Leute aus dem Betrieb hätten sie gemobbt, sie wisse bis heute nicht, wohin das ganze Geld geflossen sei. Ihr damaliger Freund habe auch im Betrieb gearbeitet. Hinter ihrem Rücken habe er Geschäfte in Osteuropa gemacht, sei irgendwann verschwunden und habe sie auf einem Berg Schulden zurückgelassen. Danach sei sie zusammengebrochen und in einer Psychiatrie gelandet. Später habe sie ein Buch über all das geschrieben.
Rottmann horcht auf, das hätte er nicht erwartet, bei einer so von ihrem Unbewussten beherrschten Frau.
Ganz ohne Anspruch, nichts Literarisches. Es sei so etwas wie ein Wirtschaftskrimi geworden, der sich immer noch erstaunlich gut verkaufe.
Wie heiÃt denn der Titel? Vielleicht kenne ich ihn ja? Ich lese nämlich sehr viel.
Der Titel, ja, der Titel ⦠und sie hält inne.
Dann, eine Weile später â der Titel ist mir ehrlich gesagt schrecklich â¦
Sie presst die Hand auf den Mund, aber kann es nicht verhindern, dass sie loslacht.
Der Titel ⦠ist mir peiâ¦
Sie hält die Serviette vors Gesicht, Tränen treten ihr in die Augen.
Der Titel â¦
Aber sie bringt es nicht fertig, weiterzureden, und auch Rottmann ist jetzt angesteckt und lacht. Die Leute an den Nachbartischen blicken zu ihnen herüber, Margot tupft sich immer wieder mit der Serviette auf die Augen, holt Luft und setzt zu einem neuen Versuch an.
Neue ⦠P⦠Pu⦠Pupâ¦
Und wieder kann sie nicht weitersprechen, es ist schon kein Lachen mehr, es ist ein Krampf bei rot angelaufenem Gesicht ⦠erst nach ein paar Schlucken Wein, nach tiefem Luftholen, kann sie sich beruhigen und bringt es hervor:
âºNeue Puppen braucht das Landâ¹.
Der ist allerdings wirklich komisch â¦
Sehen Sie â¦
Es sei der Titel, den sich ihr Lektor während der Vertreterkonferenz ausgedacht habe, und die Peinlichkeit sei ihr erst aufgegangen, als es zu spät war. Das Buch sei ein Bestseller, über siebzigtausend Exemplare seien verkauft worden, und sie habe sogar ein paar gute Besprechungen dafür bekommen. Aber auch einen Verriss, der gleich mit dem Titel angefangen und das ganze Buch so niedergemacht habe, dass sie sich tagelang nicht auf die StraÃe traute. Danach habe sie alle Lesungen abgesagt und sich zurückgezogen ⦠etwas Beschämenderes in ihrem Leben
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