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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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meine Stimme gehört, die er aber gar nicht gehört haben kann, weil ich ja gar nichts gesagt habe … ein kurzer Blick mit erweiterter Pupille. Ich würde ihm gern die Frage stellen, die mir der Arzt neulich gestellt hat und die ich ihm nicht beantworten konnte. Selbst bei Ärzten ist mir so was peinlich. Nämlich die Frage: Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Orgasmus zu besserem Schlaf führt?
    Nein, sagte ich. Aus Selbstschutz, aus Prinzip oder wasweißich. Ich wollte mit dem Arzt nicht über so was sprechen. Schlaftantra, aus dem erregtesten Wachzustand in den tiefsten Ruhezustand gleiten. Er gab mir die Adresse einer Frau, die bei so etwas mitgemacht hat. Ich traf sie, eine distanzierte, kühle Person, eine Architektin. Dass sie sich nicht geniert hat, alles so genau zu beschreiben. Wenn ich mir das vorstelle. In einem weißen aseptischen Hemd, in therapeutischer Vereinigung mit einem Zufallspartner, und das en groupe. Zehn oder mehr in einem Raum, auf medizinischen Matten, die mit weißen Laken bezogen sind. Die Augen mit weißen Binden zugebunden, damit man das Gegenüber nicht sieht, sondern sich ganz auf sich selbst und die Energie konzentriert. Die vornehme Architektin mit ihren unzärtlichen Händen. Aber es geht nicht um Zärtlichkeit, es geht um reine Energie. Sexuelle Energie. Alles auf Geheiß des Tantragurus. Dazu eine bestimmte Musik. Die Architektin sah aus, als habe sie noch nie im Leben einen dreckigen Witz erzählt. Als treibe sie sich nur in höheren sauberen Regionen herum. Und sie macht die Beine breit für einen Anonymus, der in sie dringt, damit sie hinterher besser schlafen kann. Und es klappte. Sie hatte einen Orgasmus und fiel satt auf die Medizinmatte und schlief tief ein. Sie hat nie erfahren, wie der Mann ausgesehen hat, der sie in den Schlaf gefickt hat. Sie hat sich ganz der Anweisung der Tantralehrererin überlassen, und das einzige Peinliche sei gewesen, dass sie von einem bombastischen Geräusch aufwachte, als hätte ein Elefant geschnarcht.
    Ich musste lachen, als sie mir das erzählte. Es kam mir vor, als hätte sie mir einen Furz gebeichtet. Ausgerechnet sie, die so kühl und intellektuell wirkte, hatte sich aus der Schlaflosigkeit herausgevögelt.
    Der Lothartyp hat jetzt Stift und Heft beiseitegeschoben und sich wieder dem Essen zugewandt. Die Art, wie er den Kellner herbeiwinkt, hat etwas von Routine, als sei er daran gewöhnt, Personal herbeizuwinken. Jetzt hat er mir zum zweiten Mal das Gesicht zugewandt, oder besser dem Kellner und dabei zugleich auch mir. Ein ungewöhnlich schmales Gesicht, schmaler als Lothars Gesicht. Er sieht ihm jetzt überhaupt nicht mehr ähnlich. Was er wohl von Beruf ist? Vielleicht Lehrer? Oder Arzt? Nein, kein Arzt wird sich zu so einer Veranstaltung wie dieser hier herablassen.
    Ob ich den Lothartyp, der jetzt genaugenommen keiner mehr ist, die ganze Zeit angestarrt habe? Der Kellner blickt zu mir herüber, als hätte er mir die Tantra-Gedanken angesehen. Wer weiß, diese Jungs können mehr als Gedanken lesen … wie er jetzt durch die Pendeltür in die Küche verschwindet, so selbstbewusst geht nur ein Prinz. So gelassen, so schwungvoll, so, ja, vornehm! (Schon wieder vornehm, das scheint an dem Herrenhaus zu liegen … da scheint ein heimlicher Assoziationszwang in der Luft zu sein.)
    Siehst du, wo du hinkommst, wird Lothar sagen, wenn du dich mit solchem Modekram einlässt. Er wird sich die Hände reiben, wenn auf seine Frage, »War’s ein seriöses Schlaflabor, Hirnchen?«, erst mal eine lange Pause kommt.
    Herr Ober (alberne Bezeichnung, aber wie soll man diese Leute rufen?), also: Hallo … hallo! Bitte noch einen Alten Fritz, aber nur nullkommaeins. Und noch ein bisschen zerlassene Butter, wenn das möglich ist …
    Schon da, Madame, schon sofort … (Wo hat er das ›Madame‹ nur her, der Berliner Steppke?) Der Typ dahinten unter der Fotografie mit dem verlassenen Theatersaal, der zuerst meinem Lothar so ähnlich sah, nickt zu mir rüber … bin mir aber nicht sicher, ob er mich meint oder den Kellner. Jetzt sehe ich, er ist ein alter Herr, er könnte mein Vater sein.

Der runde Tisch
    Am runden Tisch in der Ecke ist das Gespräch immer noch heftig und lautstark im Gange. Die fünf Gäste, zwei Frauen und drei Männer, sind Angestellte einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft. Der Konzern hat

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