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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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baumelte. Kein Getränk hätte in diesem Moment köstlicher schmecken können. Die junge Frau wollte wissen, ob er der Sohn von Frau Barrault sei. Auf ihn warte die Arme nämlich schon seit Tagen. Er schob den Stuhl so hin, dass er der jungen Patientin direkt ins Gesicht blicken konnte.
    Frau Barraults Sohn? Nein, der bin ich nicht … tut mir leid … (im gleichen Augenblick dachte er, wie blöde, als ob du dich für etwas entschuldigen müsstest).
    Sie hob ihren Zeigefinger in Richtung Blumen, die vergessen auf dem Tisch lagen, und richtete ihn zum Fenster hin, worauf Bülow sofort aufsprang, eine der Vasen von der Fensterbank nahm und den Tulpenstrauß mit Wasser versorgte. Mit ihrer leisen Stimme sagte sie, er solle die Vase am besten so hinstellen, dass Frau Barrault die Blumen gleich sehen könne, wenn sie aufwache. A vos ordres, entgegnete er, salutierte mit ausgestreckter Hand an der Schläfe und murmelte: »Er tat, wie ihm befohlen.« Dieser Satz war ihm wie ein frecher Kobold in den Sinn gesprungen, noch so ein Märchensatz … er tat, wie ihm befohlen, er tat wie ihm befohlen.
    Und er stellte die Vase mitten auf den Tisch, schob sie in die eine, dann in die andere Richtung, bis ihm die aufmerksam prüfenden Augen aus dem Bett heraus Zufriedenheit signalisierten. Als er wieder saß, musste er an sich halten, nicht die vor ihm auf der Decke liegende olivfarbene Hand zu nehmen. Sie sah so geschwächt, so schutzbedürftig, so ermattet aus. Ja, er ertappte sich dabei, wie seine eigene linke Hand seine rechte umklammerte, um sie daran zu hindern. Scheißerziehung, dachte er bei sich, und das wiederum kam ihm schrecklich komisch vor. Überhaupt kam ihm die ganze Szene komisch vor, er sah sich selbst in dieser Szene, und das selbstironische Beben seines Mundes auf diese Selbstbeobachtung hin entging der Aufmerksamkeit seines weiblichen Gegenübers auch nicht.
    Ich heiße Miriam, sagte sie.
    Und ich Beat.
    Ich weiß, was Sie mich jetzt fragen wollen, sagte sie.
    Ach ja?
    Ich glaube schon. Alle fragen mich das.
    Wo Sie herkommen?
    Sie lachte. Nu roden Se mol …
    Miriams Aussehen täuschte nicht. Ihre dunkle Haut, ihr Haar, ihre schlanken Hände, ihr schmales Gesicht, alles erinnerte ihn an die Kommilitonen von der eritreischen Befreiungsfront, mit denen er während seines Studiums ein paar Monate in Berlin zusammengewohnt hatte.
    Wie sie dalag, ganz Erschöpfung, unter halb geschlossenen Lidern hervorblinzelnd …
    In diesem Moment erwachte Madame Barrault, schnauf- te, öffnete die Augen und blickte um sich. Als sie Bülow sah, war ihr anzusehen, dass sie ihn nicht gleich erkannte. Es ist Ihr Besuch, sagte Miriam. Und die Tulpen hat er Ihnen auch mitgebracht. Da endlich ging ein schwaches Lächeln über das alte Gesicht.
    Mein Lieber, Sie sollten mich so nicht sehen. Aber danke für die Blumen. Schenken Sie sie meiner Nachbarin, um die sollten Sie sich kümmern, mein Freund.
    Sie bat um ein Glas Wasser, und der faltige Krater ihres Mundes verwandelte sich in breites Lachen.
    Es ist nicht schön, alt zu sein. Merken Sie sich das, mein Freund.
    Der imperative Ton rührte Beat. Nichts war ihm vertrauter als diese Art paradoxer Gefühlsäußerung, damit war er aufgewachsen.
    Frau Barrault war an diesem Nachmittag nicht zu Gesprächen aufgelegt, und auch ihre junge Nachbarin fiel bald in Schlaf, sodass Bülow sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlich, nicht ohne einen Zettel mit seiner Adresse auf dem Nachttisch neben dem Pfefferminztee zu hinterlassen. Viele Minuten hatte er darüber nachgedacht, was er darauf schreiben sollte. Das Naheliegendste wäre gewesen: Ich liebe Sie. Aber das wäre ihm lächerlich vorgekommen. Andere Möglichkeiten wie ›bis bald‹ oder ›hoffe, Sie wiederzusehen‹ oder ›Sie haben mich verzaubert‹ verwarf er ebenso. Am Ende schrieb er nur: »Gute Besserung! Ihr unerbetener Besuch.« Das signalisierte Interesse und klang neutral genug, um ihr die Möglichkeit zu lassen, sich zu ihm hin zu bewegen. Es klang jedenfalls nicht zu aufdringlich.
    In übermütiger Stimmung verließ er die Klinik und machte sich nach Berlin auf. Während der Fahrt schob er seine derzeitige Lieblings-CD ein, drehte laut auf und sang aus vollem Hals mit: Und der Haifisch, der hat Zähne …

Klein ist die Welt
    Das Essen zieht sich seit über einer Stunde hin, und

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