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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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›Autounfall‹ murmelte, gelang es dir irgendwie, mit einem Taschentuch seinen kleinen Arm abzubinden, du hörst noch heute seine Schreie, die immer leiser wurden und schließlich verstummten, als die Rettungshelfer kamen und ihn und dich verarzteten und auf die Trage hievten. Dieser idiotische Unfall, den ihr überlebt habt, du und dein Sohn, und der dich dennoch in seinem Bann hält … fast jede Nacht, du wachst auf und grübelst, was hätte passieren können und was noch passieren kann und was Andi jetzt, da er beinahe erwachsen ist, für Gefahren drohen … du weißt, das ist sinnlos, du redest auf dich ein, Spinner, du, sei froh, dass alles so glimpflich abgelaufen ist, wenn es Glück im Unglück gibt, dann war es das, du solltest dankbar sein … du und Andi, ihr habt einen Schutzengel, ja, hat das deine Großmutter nicht immer gesagt, du hast einen Schutzengel, Junge, und er stellte sich diesen Schutzengel immer vor wie einen Käfer mit Flügeln.
    Und als er später einen Kollegen entdeckte, der Schriftsteller war, nämlich den Versicherungsangestellten Kafka, wusste er, das stimmt. Der Schutzengel ist ein Käfer. Wie viele nicht enden wollende Nächte hat er dir gegen den Herrscher der Nacht geholfen – diesen unsichtbaren Feind, den selbst der Traumatherapeut nicht aus seinem Versteck locken konnte. Dabei hast du dich so angestrengt. Und dann dieser Satz: Ich kann Ihnen nicht mehr helfen, tut mir leid. Dieser Satz eines hartgesottenen Therapeuten, den du ab jetzt in deinem Ohr trägst, das Vademecum der Hoffnungslosigkeit.
    Ein Wunder nur, dass du trotz des Unfalls immer noch ein guter Fahrer bist, keine Angst hast, im praktischen Leben funktionierst. Und dann wieder der andere Peter, der, der sich in der Nacht verliert, im Schwarzen herumirrt und einen Käfer anbetet. Das wirst du niemals jemandem erklären können, was da mit dir passiert in der Nacht, wenn das Ganze von vorn anfängt, und du zu suchen beginnst, jede Nacht von neuem, wenn dein Leben in deinem Kopf rotiert und die Bilder sich vermischen und verblassen und ineinanderfließen, wenn du wie blöde immer wieder nach ihnen zu greifen suchst, als wären sie aus einem Material, das man anfassen und festhalten kann … Vielleicht hat dieser idiotische Autounfall gar nichts mit diesen Nächten zu tun, vielleicht hättest du auch so irgendwann nicht mehr schlafen können … das müsste mal einer herausfinden, einer von denen, die sich Therapeut schimpfen, einer, der schlauer ist als du und als der hartgesottene Kerl, der dir nicht mehr helfen will …

Ratlos
    Soll das ein Witz sein, denkt Sander Sandow, da scheine ich einem Betrüger aufgesessen zu sein, sieh mal an, dass ausgerechnet dir so was passiert, der feine Herr Professor, und ich scheine nicht der einzige Idiot zu sein.
    Für das Hotel ist es ein Segen, so gut belegt war es nur selten in all den Jahren, seit er hier arbeitet. Er hatte gewusst, dass er es nicht leicht haben würde mit dem Haus. Die erste Euphorie war schon vorüber bei den Berlinern, die in der näheren Umgebung nach Häusern suchten. Ab Ende der neunziger Jahre, als allmählich die Eigentumsverhältnisse geklärt waren und die Gelder lockergemacht, der Mut gefasst, um die Ruinen des untergegangenen Preußentums wieder in Schuss zu bringen und aufzupolieren, hatte der Run auf die Erholungsorte im ›nahen Osten‹ schon wieder nachgelassen.
    Sandow war begeistert gewesen von der Idee seines Freundes Bülow, das Haus gemeinsam aufzubauen und zu betreiben. Gut Sezkow ist ein Anwesen, das Ende des achtzehnten Jahrhunderts von einem der Bülow’schen Vorfahren erbaut wurde, wenn man den Begriff ›Vorfahren‹ sehr weit gefasst versteht. Die von Bülows sind ein fast unüberschaubares, weil seit vielen Jahrhunderten unendlich verzweigtes Geschlecht, dessen Namensträger sich wiederum rhizomartig mit so gut wie allen preußischen Generalsfamilien gekreuzt hatten, sodass Beat von Bülow sich mit einem Strauß mächtiger Adelsblumen schmücken könnte, wenn er es darauf abgesehen hätte. Er hat es aber nicht darauf abgesehen, und dennoch, aus Jux und Dollerei hat er von einem Freund, einem Grafiker, eine Art Stammbaum malen lassen, auf dem die verschiedenen Adelsgeschlechter durch Blumen gekennzeichnet sind.
    Das Bild ist eine unübersichtliche, assoziative Darstellung im Stil der

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