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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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Leipziger Schule, mit allerlei Einsprengseln der Geschichte und der preußischen Kriege wie auch dessen, was danach kam. Letzteres eher beiläufig, aber wenn man genauer hinsieht, ziemlich böse. Besonders gefällt ihm das Porträt von Loriot darauf, dessen Witz für Bülow immer die Spitze der Selbstironie war – er konnte sich kaputtlachen bei seinen Sketchen. Fast so wie früher bei Charlie Chaplin.
    Auf jeden Fall hatte Bülow damals, Mitte der neunziger Jahre, das Haus für einen geringen Betrag erworben und mit dem bisschen ›Penunze‹, die ihm zur Verfügung stand, so gut es ging etwas daraus gemacht. Er wollte sich nicht von privaten Geldgebern abhängig machen, schon gar nicht von Verwandten, und so nahm er das Angebot seiner Bank an, die ihm einen Kredit gewährte, der allerdings nur knapp für das Nötigste ausreichte. In einer Art romantisch-manischem Schub hat er alles auf eine Karte gesetzt und mit einem jungen Architektenfreund losgelegt. Der war damals arbeitslos und Anhänger des Funktionalismus, wie ihn der berühmte Egon Eiermann vertrat, und nichts hätte ihm ferner gelegen als so eine ›olle Bude‹, wie er das halb zerfallene Gutshaus salopp nannte, zu sanieren. Oder besser, wenn es nach seinem Geschmack gegangen wäre, hätte er sehr viel mehr Geld gebraucht, hätte die Fassaden perfekt wieder hergestellt und innen kurzerhand alles so umgebaut, wie es für ein modernes Hotel am praktischsten wäre. Da er aber zu der Zeit keine Arbeit hatte und sein Freund Beat für das Bauvorhaben nur wenig Geld, musste er sich mit der Minimallösung zufriedengeben. Im Laufe seiner Arbeit an dem Projekt aber fing er an, sich von dem Enthusiasmus seines Freundes anstecken zu lassen. Für sich selbst fand er eine Lösung, indem er die Aufgabe und das Ziel neu definierte. Er machte die Geschichte des Hauses sichtbar, und so konnte er rechtfertigen, dass man manches so ließ, wie es war. Eine Definition, die sich allerdings erst nach Wochen mühseliger Arbeit herausschälte. Hilfe fand er in Archiven des nahegelegenen Städtchens und in der Kirche, bei alteingesessenen Heimatkennern, den zu jener Zeit überall auftauchenden Preußenforschern wie auch bei der Bibliothekarin Frau Barrault, die erzählen konnte, was mit und in dem Haus und um es herum passiert war. Sie lebt bis heute in dem Gartenhäuschen im Park, und dort hat sie Wohnrecht auf Lebenszeit – das war Bedingung im Kaufvertrag gewesen. Von ihr erfuhr er, dass Gut Sezkow im Laufe der Zeit immer wieder verkauft worden war. Einer der Eigentümer, dem das Anwesen vor dem Ersten Weltkrieg gehörte, war Italienliebhaber. Er hatte dem Haus seinen Stempel aufgedrückt, indem er die linke Seite mit einem Anbau verlängerte, der das bis dahin bestehende Dach um einiges überragte. Das heißt, einen Turm bildete und dem Ganzen eine Art italienischer Anmutung verlieh. In dem Anbau befindet sich parterre heute das Restaurant, früher diente er als Wintergarten. Frau Barrault wusste noch ein paar alte Stiche in der Stadtbibliothek hervorzukramen, auf denen eine üppige Palmenbepflanzung den Wintergarten füllt. Beat von Bülow war begeistert von den Stichen und versuchte vergeblich, sie der Bibliothek abzukaufen. Aber die damals plötzlich aufgekommene Lust an preußischer Heimatgeschichte stieß bei den Ämtern nicht immer auf Begeisterung. Jedenfalls bekam Bülow zu hören, dass man nicht alles kaufen könne, was man wolle, und dass es Dinge gebe, die Eigentum der Allgemeinheit seien, auch wenn das den Herren aus dem Westen nicht immer passe. Eine Ansicht, die Ihnen aber neu zu sein scheint, sonst hätten Sie dieses Volkseigentum ja nicht dermaßen verkommen lassen, konterte von Bülow. Ja, deshalb hätten sie ja auch Schluss gemacht mit dem Scheißstaat, meinte darauf der Beamte, nur leider sei jetzt auch nicht alles so, wie man es sich wünsche. Und wenn er ehrlich wissen wolle, was hier gedacht werde, dann brauche er nur in die Kneipen zu gehen.
    Und was hört man da?, wollte Bülow wissen.
    Na ja, die meisten denken doch, dass beide Systeme, der Osten wie der Westen, genauso schlecht sind, wie die jeweils andere Seite es ihnen unterstellt hat.
    Worauf Bülow nickte und sagte: Kann schon sein, um dann mit einem Seufzer der Verzweiflung vorzuschlagen, die Stiche als Leihgabe zu übernehmen, damit wenigstens ein paar

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