Die Schlaflosen
die Frau dem Mann über den Kopf streicht, wie die beiden aufstehen, den Staub von den Kleidern schütteln und sich langsam auf das festlich erleuchtete Haus zubewegen. Dort nehmen sie verschiedene Wege.
Ach Gott
⦠kommen Sie mir jetzt nicht mit den berühmten Männern, die mit zwei Stunden Schlaf auskamen!
Die Moll schnappt nach Luft angesichts des aggressiven Ausbruchs eines vielleicht Vierzigjährigen mit Lockenkopf, der mehr einem ewigen Studenten gleicht als einem Versicherungsangestellten. Sie hebt die Brauen, gespannt, was noch kommt.
Man kannâs ja sogar verstehn, denkt sie bei sich, man verzeiht einander so vieles in dieser schlappen Runde. Im Grunde ist so eine Attacke gar nicht übel, macht wach, bringt Leben in die schlaffen Synapsen.
Ja ja, Napoleon, Churchill, ach Gott ⦠diese Kerle hatten ohnehin die Energie menschlicher Atombomben, mit so jemandem kann sich unsereins natürlich nicht vergleichen ⦠dann eher Kafka, unser Kollege ⦠sozusagen prädestiniert für Schlaflosigkeit, viel zu sensibel für das Leben. Ich sage Ihnen, liebe Frau ⦠wie war noch mal Ihr Name?
Sie sagt es ihm mit unwilliger Höflichkeit: Moll.
Ach ja, liebe Frau Moll, ich behaupte, man hat Ihnen einen Bären aufgebunden, es gibt keine gesunden Kurzschläfer. Der Mensch braucht einfach eine bestimmte Menge Schlaf, da beiÃt die Maus keinen Faden ab ⦠Schaffen, ScheiÃen, Schlafen â das ist es. Wenn das eine nicht klappt, klappt auch das andere nicht. Wussten Sie, warum Kafka Verdauungsprobleme hatte? Und warum er immer wieder seine Verlobung aufgelöst hat? Weil er nicht schlafen konnte, ich sagâs ja, wenn das eine nicht klappt, dann ⦠Ãbrigens, Churchill hat sich maÃlos vollgefressen, und das nur, um seine schlaflosen Nächte zu füllen ⦠was soll man auch machen, wenn man kein Auge zutun kann, wie soll man die Zeit rumkriegen? Man frisst und denkt daran, wie man die umlegt, die schlafen können ⦠dann denkt man sich Kriege aus ⦠es hat schon welche gegeben, die haben ihre Frau und ihre Kinder massakriert â nur weil sie nicht schlafen konnten â¦
In dem Moment erscheint Mulik. Der junge Schlafverteidiger reckt sich, winkt ihm eifrig zu und klopft mit der freien Hand auf den leeren Sessel neben sich. Kommen Sie, Kollege, kommen Sie zu den schlaflosen Experten der Schlaflosigkeit. Und darf ich Ihnen Frau Moll vorstellen? ⦠Und zur Moll gewandt: Mein Kollege Mulik. Der deutet eine Verneigung an. Mit einem forschenden Blick in Molls Gesicht versucht er, sich ihrer Schweigsamkeit zu versichern. Hoffentlich, denkt er, behält sie das Geheimnis für sich.
Die Moll versteht, was er denkt. Sie nickt ihm ein Lächeln zu, das niemand sonst bemerkt.
Wir sind gerade in einer hitzigen Debatte, Frau Moll meint, man brauche gar nicht so viel Schlaf wie immer behauptet wird, und führt als Beweis dafür berühmte Männer der Geschichte an. Ich aber bin da ganz anderer Meinung. Denken Sie nur an Kafka, der mich, wie Sie wissen, besonders interessiert, allein schon weil er ein Kollege war â¦
Glauben Sie, er war glücklich? Nein, das war er nicht! Es gibt ein Meer von Beweisen dafür in seinem Tagebuch. Er war sterbenstraurig mit seiner Schlaflosigkeit. Glücklich war er erst, als er schwer krank war. Vielleicht konnte er da besser schlafen, weil er Medikamente nahm gegen seine Tuberkulose. Vielleicht war dies auch der eigentliche Grund, dass er endlich eine Frau lieben konnte, herzhaft lieben meine ich, anders als er früher, in gesundem und schlaflosem Zustand, geliebt hat, wo sich seine Liebe mehr in Briefen kundtat als in ausgelebter Form. Mit seiner letzten Liebe hat er sogar zusammengewohnt. Nein, keiner kann mir weismachen, dass es Menschen gibt, die mit drei Stunden Schlaf auskommen. Meiner Ansicht nach wird man mit so wenig Schlaf zum Massenmörder. Siehe Hitler, siehe Napoleon, siehe Churchill. Ich will ja nicht sagen, dass Churchill ein negativer Massenmörder war, Sie brauchen gar nicht so erschrocken zu gucken, liebe Frau Moll. Er war zwar ein Massenmörder, aber die Geschichte hat es gewollt, dass er ein guter Massenmörder wurde. Hätte es Hitler nicht gegeben, wäre er vielleicht ein böser Massenmörder geworden. Wer wei�
Immerhin hat er Europa gerettet, sagt die Moll.
Glauben Sie nur nicht, er habe seine Kriege nur zu einem guten Zweck geführt. Er hat
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