Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
Vom Netzwerk:
seine Kriege geführt, weil er ein Massenmörder war, und er war ein Massenmörder, weil er nicht schlafen konnte.
    Was für ein Quatsch!
    Hitler und seine Schweine umzulegen ist wahrlich heldenhaft, aber stellen Sie sich nur vor, er hätte keinen Hitler als Gegner gehabt. Was hätte er sich da ausgedacht? Nachts, wenn er nicht schlafen konnte und schon so vollgefressen war, dass er nichts mehr runterkriegte?
    Die Moll tauscht vielsagende Blicke mit Mulik aus, sie tippt sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe und erntet diskret gezeigte Zustimmung. Was für ein Nervtöter, dieser Mensch! Möge der Herr ihm baldigen gesunden Schlaf schenken! Sofort, auf der Stelle am besten!
    Und ich sage Ihnen, fährt der Mann fort, Kafka war auch ein verkappter Mörder.
    Wenn einer das Gegenteil von einem Mörder war, dann Kafka.
    Wer kann sich so was wie die Strafkolonie ausdenken? Da muss man doch eine Mörderfantasie haben. Ich will ja nicht behaupten, dass alle Mörder und Massenmörder Schlaflose sind, aber ich wage zu behaupten, dass alle wirklich Schlaflosen einen Hang zum Morden haben.
    Hören Sie auf mit dem Unsinn, die Moll ist angewidert. Geradezu Hass kommt in ihr hoch. Am liebsten würde sie sich auf ihn stürzen und ihn schlagen. Noch nie hat sie es über sich gebracht, in der Nähe von Menschen zu bleiben, die sie so abstoßen wie dieser Kerl hier. Er ist ihr so zuwider, dass sie nicht einmal die Luft einatmen will, die er ausatmet – und deswegen kann sie nur aufstehn und gehn.
    Jemand hat jetzt angefangen zu singen, eine Frau in einem kurzen roten Kleid. Sie lehnt sich leicht gegen den Flügel, an dem ein junger Mann sie begleitet. Es ist einer der Kellner. Die Chefin hat ihn dafür freigestellt. Geh und unterhalte die Leute, bevor noch was passiert, hat sie zu ihm gesagt.
    Die Sängerin singt so leise, dass man sie kaum versteht. Auf den Ruf ›Lauter, lauter!‹ reckt sie sich und holt tief Luft oder vielleicht Mut, um dann von neuem ihre für das Lied viel zu helle Stimme zu erheben.
    Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, dass was gescheh’ … das Schiff ist nicht nur für den Hafen da, es muss hinaus auf hohe See, singt sie mit kindischer Übertreibung. Trotzdem wird begeistert applaudiert, und Friederike ist sogar aufgesprungen und klatscht so demonstrativ, dass alle die Köpfe zu ihr hinwenden.
    Jetzt drängen sich immer mehr Gäste in den blauen Salon, wo bereits da und dort die Leute beisammenstehen, Gläser in Händen, über die neuesten Mutmaßungen palavernd. Irgendjemand will den Schlafpapst im Laufe des Nachmittags doch noch gesprochen haben. Der habe sein Kommen mit absoluter Sicherheit bestätigt, nur dass er sich etwas verspäten werde, aber nur ein bisschen.
    Sandow ist mit einer sehr aufgeregten Frau beschäftigt, deren Stimme immer lauter wird. Vergeblich versucht er, sie aus dem Geschehen zu drängen, um nicht noch mehr Unruhe in die schon aufgeladene Stimmung zu bringen. Aber die Frau strebt, ganz im Gegenteil, mitten hinein, dem Klavier zu, wo sich jetzt auch viele andere Gäste wippend und summend versammeln, während die Sängerin weiter piepst.
    Nein, ruft die empörte Frau aus, Sie haben das extra gemacht. Sie haben uns mit Absicht hierhergelockt, das ist eine ganz infame Abzocke, und dieser blöde Bülow, dieser Gauner, hat genau gewusst, dass es gar kein Seminar gibt, heute nicht und auch morgen nicht … das lassen Sie sich mal gesagt sein, schreit die Frau mit schrill werdender Stimme … mein Schwiegersohn ist ein bekannter Anwalt, und Sie werden noch von mir hören, bilden Sie sich nur ja nicht ein, Sie könnten uns ungestraft an der Nase … und außerdem, hier sind bestimmt ein paar Journalisten, die werden diesen Skandal ans Licht bringen, schreit sie. Das ist unsäglich, unsäglich, was wir hier erleben müssen … bodenlos!
    Sandow weiß nicht mehr, wie er die Frau beruhigen soll. Die in diesem Moment auftauchende Moll erscheint ihm wie ein Engel, er wirft ihr einen flehentlichen Blick zu. Aber was soll sie tun? Sie hebt die Handflächen zur Decke und zuckt ratlos mit den Schultern. Die Augen aller sind jetzt gebannt auf Sandow gerichtet und auf die immer wilder sich gebärdende Frau. Auch die Sängerin hält jetzt inne, nur der Pianist spielt unverdrossen weiter.
    Das Ganze hört sich wie eine moderne Oper an

Weitere Kostenlose Bücher