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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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plötzlich bremsen, die Stämme rammten sich in den Wagen, in dem ein Vater mit seinem Kind saß. Die Nachricht hatte sich schnell verbreitet, und Bülow machte sich zu der Unfallstelle auf, die nicht sehr weit von seinem Standort entfernt war. Der Anblick des vollkommen zerstörten VW-Käfers, den die Baumstämme durchbohrt hatten, der im Schock herumirrende Fahrer des Lastwagens, das entsetzliche Schreien des eingeschlossenen Kindes, die verzweifelten Männer, die den Wagen aufzuschneiden versuchten, ohne die Eingeschlossenen zu verletzen, das Aufgebot an Polizisten, die Neugierige von der Unfallstelle drängten, die Hubschrauber und die Helfer, und immer noch das Schreien des eingeklemmten Kindes und die stumm dastehenden Zuschauer, denen das Entsetzen in den Gesichtern stand.
    Bülow, der nicht an Gott glaubt, merkte, dass er betete. Er musste sofort an seine Frau denken und an das Kind, das sie erwartet. Am Handy sagte er ihr nur, dass da ein Unfall sei, aber nicht, was er wirklich gesehen hat. Das würde sie nicht verkraften, bei all ihrer Stärke, das wäre zu viel, dachte er. Er ist dann zu seinem Wagen zurückgelaufen und hat immer wieder versucht, Sandow zu erreichen, bis es endlich klappte.
    Der Tag scheint unter einem schlechten Stern zu stehen, hat Sandow gesagt und hatte es gleich darauf bereut. Irgendwann im Laufe des Abends hatte er aufgehört, mit Bülow zu rechnen. Der indessen setzt sich mit seinem Wagen endlich in Bewegung und passiert die mit dunkel durchnässtem Sägemehl bestreute Unfallstelle. Als er an der Raststätte ankommt, muss er erst einmal aussteigen und etwas trinken. Während er die Kaffeetasse zum Mund führt, merkt er, dass er zittert, ja, so sehr zittert, dass der Kaffee über den Rand schwappt. Erst der Underberg, den er schnell herunterkippt, beruhigt ihn ein wenig, aber als er während der Fahrt nach Sezkow in den Nachrichten von dem Unfall hört, setzt das Zittern wieder ein, und er muss anhalten und sich beruhigen. Jetzt erst merkt er, dass er ein nasses Gesicht hat, dass er weint. Niemals hat er sich so sehr nach seiner Frau gesehnt wie in diesem Moment, und auf der Fahrt denkt er die ganze Zeit an ihr Kind. Er will nicht, dass diesem Kind jemals so etwas passiert, und zugleich sieht er in einer zwanghaft sich wiederholenden Bilderfolge, wie Miriam in einem Unfallwagen eingesperrt ist und schreit. Er versucht, sich zur Vernunft zu rufen, er hält an und lehnt die Stirn an das kalte Metall des Wagens, er schlägt mit Fäusten auf die Kühlerhaube ein, aber die Bilder hören nicht auf. Bis er seine Frau wirklich in den Armen hält.

Miriam
    Miriam hat es geschafft, die empörte Frau in das kleine, den Gästen nicht zugängliche Zimmer zwischen dem blauen Salon und der Küche zu bugsieren, um ihr die Beweise für die Wirklichkeit des Professors vorzulegen. Gnädige Frau, so spricht sie mit eindringlicher Stimme die Empörte an, und sie legt ihr alle die Mails und Briefe vor, die im Laufe der letzten Wochen zwischen dem Professor und dem Hotel ausgetauscht wurden. Die Frau ist so aufgeregt, dass Miriam den Atem anhält. Ihr ist, als könne sie sich anstecken wie bei einer Krankheit. Als würde sie vergiftete Luft einatmen. Die Frau ist so außer sich, dass ihr die Haut unter den aufgerissenen Augen zittert.
    Wenn Miriam eine Begabung hat, dann ist es die, Frieden zu stiften, zu vermitteln, Missverständnisse zu klären, aufgebrachte Seelen zu beruhigen, schlechte Stimmung in gute zu verwandeln, und das alles mit wenigen Worten, eigentlich nur mit ihrer Stimme. Damit ist sie aufgewachsen, das war schon immer ihre Rolle, und darin ist sie sich gewiss.
    Sie hat gerade ein paar Papiere vor der hoch erregten Frau auf dem Tisch ausgebreitet. Sie weiß auch, wie man mit jemandem am besten umgeht, der ausfällig geworden ist, weiß, dass man dann eine besondere Sprache anwenden muss, eine mit einfachsten Worten, eine ganz klare Sprache, um ein verwirrtes Hirn wieder zur Besinnung zu bringen. Sie weiß, dass man mit so jemandem wie mit einem Kind reden muss, und so tut sie es jetzt auch.
    Ich bitte Sie, gnädige Frau, sehen Sie, das ist alles wirklich so besprochen worden, wollen Sie es sich nicht einmal anschauen? Sie bietet ihr einen Platz in einem Sessel an, der genau für solche Gelegenheiten hier steht, und sie spricht ganz langsam und eindringlich. Tatsächlich lässt sich ihr

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