Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
der Atem. Auch Sadoq konnte es kaum glauben.
» Du warst das?«
Kephallion zuckte mit den Schultern. »Aber ja. Er war ein Feind unserer Sache, er hätte uns verraten.«
»Eine Frau wurde für diesen Mord gesteinigt.«
»Eine Ungläubige«, erklärte Kephallion knapp und kam wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Ich würde nie etwas von unseren Leuten verlangen, das ich nicht selbst als Erster täte. Jetzt liegt es bei dir, Sadoq. Stimmst du meinem Vorschlag zu, oder willst du weitermachen wie bisher? Du warst kaum zwanzig Jahre alt, als du die Zeloten gegründet hast, um deinen Freund zu rächen und alle Gottlosen aus diesem Land zu vertreiben. Nun zählst du über dreißig Jahre und bist deinem Ziel nicht viel näher gekommen. Willst du einmal sterben, ohne deinen erhabenen Schwur erfüllt zu haben?«
Sadoq und Menahem schwiegen, und so setzte Kephallion hinzu: »Du bist der Messias , Sadoq, auch wenn du es selbst noch nicht wahrhaben willst. Du bist der, der Judäa retten wird, und ich helfe dir dabei. Wir müssen Chaos und Schrecken im Land verbreiten, dann werden die Fürsten und Prokuratoren erzittern und schließlich stürzen. Die Rache an den Herodianern wird furchtbar sein, und unser Ruhm ewig.«
Sadoq seufzte tief. Alles in ihm warnte vor Blutvergießen, das weiteres Blutvergießen nach sich zöge. Die Lehre aus dem gewaltsamen Tod seines Vaters und seines Freundes Zelon hieß, dafür zu sorgen, dass möglichst wenige andere Söhne eine solche Erfahrung machen mussten. Und doch hatte Kephallion in einem Punkt Recht: Er, Sadoq, war seinem Lebensziel keinen Schritt näher gekommen. Warum zogen die Römer, die nur Leid und Unterdrückung brachten, nicht einfach ab und ließen den Juden das Land, in dem sie schon seit vielen Generationen lebten?
Er stand wieder auf und blickte auf seine beiden engsten Gefolgsleute hinab. »Also gut, Kephallion. Setze deinen Plan in die Tat um. Du hast meine Zustimmung.«
Kephallion sprang auf. Er strahlte wie ein kleiner Junge, der soeben ein Holzschwert geschenkt bekommen hatte. »Du wirst es nicht bereuen, Sadoq. Ich kümmere mich um alles, ihr habt nichts zu tun.« Er nahm seinen Kelch und hob ihn feierlich in die Höhe. » Masal tov . Auf gutes Gelingen!«
Sadoq nickte abwesend und machte eine Geste, dass er sich zurückziehen wolle. Er war fort, bevor Kephallion oder Menahem noch etwas sagen konnten.
Kephallion straffte sich. Er fühlte sich wie neugeboren. »Siehst du«, sagte er mit Blick auf Menahem. »Er nimmt langsam Vernunft an und hält mehr von meiner Meinung als von deiner.«
Sein Kontrahent erhob sich langsam auf Augenhöhe. Im Gegensatz zu Sadoq, dessen müde Augen und zerklüftete Stirn ihn älter wirken ließen, als er war, war Menahems Gesicht jung geblieben, dessen Ausdruck jene Mischung aus Ruhe und Strenge war, die man gemeinhin Engeln nachsagte.
»Für den Augenblick sieht es so aus«, räumte er ein.
»Dann gibst du zu, geschlagen zu sein?«
Menahem lächelte verächtlich. »Als wir diesen Raum betraten, standen wir ein für Freiheit und Würde, nun verlassen wir ihn als Mörder. Wir sind alle geschlagen, Kephallion, alle. Das weiß auch Sadoq. Nur du verstehst es nicht.«
Als Salome ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war es ein warmer Spätsommertag gewesen. Die Fliegen summten um den Teich in Ashdods verblassenden Blumengärten, die Luft war still und der Wein süß. Der viele Rebensaft – aber mindestens ebenso das Glück – hatten sie damals berauscht. An jenem Tag vor etwa zehn Jahren war sie Timon so nahe gewesen wie nie zuvor und nie mehr danach. Sie durften sich berühren und anlächeln, ihre Blicke verschmolzen … Heute saß Salome im Palast von Bethsaida auf ihrem fürstlichen Thronschemel neben Philipp, einer Statue gleich, und musste ihre Liebe öffentlich verleugnen, wo sie sie doch am liebsten in die Welt hinausgeschrien hätte. Wieder spürte sie diesen Zorn auf Philipp, der eigentlich nicht ihm selbst galt, sondern der Ehe, in der sie gebunden war.
»Darf ich vorstellen, Herr, Herrin«, eröffnete der Schreiber die Audienz. »Kallisthenes von Epidauros.«
Salome begrüßte den Architekten mit einem höflichen, knappen Kopfnicken, zu dem sie sich geradezu zwingen musste. Sie hatte nur Augen für Timon und suchte in dem stolzen, gut gekleideten Griechen jenen ungestümen jungen Mann, den sie vor zehn Jahren verloren hatte. Seine Statur war kräftiger als damals. An seinen Unterarmen waren die Adern so dick wie
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