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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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wurden. Bei der Erwähnung von Timons Namen war Herodias bleich geworden, Salome hingegen grinste ihre Mutter in einer Mischung aus Feindschaft und Genugtuung an. Den ganzen Abend über sprachen sie kaum ein Wort miteinander, und wenn, schwang ein gereizter Unterton mit. Es war, als stünde irgendetwas, das mit Timon zusammenhing, zwischen ihnen. Kallisthenes konnte sich nicht erklären, was es war.
    Timon seinerseits blieb ebenfalls wortkarg, was Kallisthenes ihm jedoch nicht verübelte. Salome trug am heutigen Abend ein Gewand, das in Griechenland allemal, vielleicht sogar im heiteren Rom für Aufsehen gesorgt hätte, hierzulande mit Sicherheit ein Skandal war. Der flammend rote Stoff war am Bodensaum aufgeschlitzt und ließ Blicke bis weit über das Knie zu, und oben herum war er so eng geschnitten, dass die Konturen der Brüste wie Hügel im Abendrot hervortraten. Salomes glattes Haar fiel ihr wie ein Wasserfall auf die Schultern, und die Augen funkelten herausfordernd. Letzteres konnte Timon zwar nicht bemerken, da er sich jedes Mal, wenn sie zu ihm blickte, seiner Speise widmete. Sobald sie ihm jedoch wieder den Rücken zuwandte, konnte er kein Auge von ihr lassen.
    Kallisthenes lehnte sich zurück. Er gab sich dem seichten Geklimper des Musikanten und dem betäubenden Geruch der Myrrhe hin, die in schweren Schwaden aus einem Kessel stieg. Ihm war schon aufgefallen, dass dieses Baumharz in Judäa allgegenwärtig war. Sein süßer, betäubender Duft zog über die Märkte, die Straßen und durch die Gänge des Palastes, ja selbst auf den Feldern meinte er ihn einige Male in einer Bö gerochen zu haben. Anfangs hatte ihn die Myrrhe gestört, war ihm aufdringlich vorgekommen. Mittlerweile genoss er ihren Duft. Sie passte in dieses exotische, verhältnismäßig fremde Land, das sich beharrlich jeder Kategorie, der man es zuordnen wollte, verweigerte. Judäa war Teil des Ostens und doch nicht orientalisch, es verband Ägypten mit Syrien, aber es entzog sich der kulturellen Ausstrahlung der beiden Provinzen. Die Seele des Landes, ausgedrückt in ihrer Geschichte, ihrer Glaubenslehre und in den Winzigkeiten des Alltags, war unbezwingbar.
    Kallisthenes hatte sich geweigert, über Judäa zu lesen, und er ignorierte auch Timons Berichte, so weit das möglich war. Er beurteilte die Völker nach ihren Bauwerken, nach Dächern, Höfen, Säulen, Märkten, Straßen und Badehäusern, nach Bibliotheken, Tempeln, Theatern und Stadien, nach Mausoleen, Standbildern und Ruhmeshallen. Die klotzige Wucht römischer Bauart, zum Beispiel, war aus seiner Sicht symptomatisch für ein selbstherrliches Volk, ebenso wie die farbenfrohen Kulissen der Syrer die Nähe zur exotischen Welt jenseits von Babylon widerspiegelten. In Judäa waren Kallisthenes vor allem die hohen, nüchternen Mauern aufgefallen, auf die selbst kleine Städte nicht verzichten wollten, und er fragte sich, ob diese steinernen Klammern wirklich nur vor angreifenden Heeren schützen sollten oder im Laufe der Jahrhunderte nicht auch noch einen anderen Sinn bekommen hatten. Jedes Städtchen, jeder Jude, jede Seele wirkte wie eine Trutzburg, die zwar zu schützen vermochte, sich dadurch jedoch jeder Möglichkeit beraubte, andere Völker – und Seelen – für sich einzunehmen. Trotz der flimmernden Hitze strahlte Judäa keine echte Wärme aus.
    Philippi musste anders werden. Philippi musste die Schönheit der hiesigen Landschaft in sich aufnehmen, die Würde einer alten Geschichte und die Gastfreundschaft der Menschen, und es musste mit einigen Tabus brechen. Verboten waren Mauern so hoch wie hundertjährige Zedern, das verstand sich von selbst. Philippi sollte offen sein, frei und gut einsehbar, eine Einladung an Reisende vorbeizuschauen. Blau und Weiß würden die vorherrschenden Farben im Marmor und den Ornamenten sein, zwei kühle und frische Töne mit einer deutlichen und ansprechenden Kontrastwirkung. Ein Kranz aus Olivenhainen würde die Stadt umgeben und die Sehnsucht der Juden nach Frieden symbolisieren. Die Ideen für die Stadt quollen aus ihm hervor wie die Myrrhe aus dem Kessel, und sie verbreiteten sich wie Dunst in ihm und füllten ihn ganz aus.
    Nebenbei blickte er zu Timon und fragte sich, was er wohl von diesen Geistesblitzen halten würde. Am liebsten hätte er ihn gleich gefragt, aber der Junge war noch immer in den Anblick Salomes vertieft. Und Philipp? Was würde der Fürst von Basan zu den Plänen für seine Stadt sagen?
    Mit einem Schlag war

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