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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Kallisthenes hellwach. Salomes Gemahl döste nämlich nicht wie die anderen vor sich hin, sondern beobachtete Timons auffällige, beinahe schon taktlose Betrachtung seiner Frau.
    War Timon denn von allen Göttern verlassen, so blind und so töricht zu sein? Kallisthenes befürchtete bereits den schlimmsten denkbaren Eklat. Er musste den Jungen ablenken. Er griff nach irgendeiner Schüssel.
    »Wie heißt das hier?«, fragte Kallisthenes und stieß Timon an.
    Er sah verwirrt auf. »Bitte?«
    »Diesen Brei hier, den ich esse, wie nennt man ihn? Du kennst dich doch mit den jüdischen Bräuchen und Gewohnheiten aus.«
    Timon brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln. Kallisthenes konnte nur vermuten, aus welchen Traumwelten er ihn geholt hatte.
    » Charosseth «, antwortete Timon, noch immer nicht voll bei der Sache.
    »Er ist köstlich. Wie wird er zubereitet?«
    Timon sah nicht aus, als habe er in diesem Moment Lust, über Brei zu sprechen, doch Kallisthenes ließ nicht locker. Timon durfte keine Gelegenheit mehr bekommen, Salome anzustarren.
    »Nun?«, hakte Kallisthenes nach.
    »Zerkleinertes Trockenobst, Nüsse, vermust mit Honig und süßem Wein«, zählte Timon rasch auf.
    »Interessant. Und welches Trockenobst?«
    »Datteln und Rosinen.«
    »Und die Nüsse? Welche Nüsse werden genommen?«
    »Hauptsächlich Mandeln. Haselnüsse, wenn man welche bekommen kann.«
    »Und der süße Wein kommt von Zypern, nehme ich an?«
    »Was ist denn plötzlich mit dir los? Seit wann interessierst du dich für Nüsse und Wein?«
    »Seit eben. Also, was ist mit dem Wein? Kommt er von Zypern?«
    »Möglich«, stöhnte Timon lustlos. »Aber im Jordantal zwischen dem Salzmeer und dem See Genezareth wachsen viele süße Reben.«
    »Hier im Golan auch? Ich habe bei der Anreise Reben gesehen.«
    »Ja, doch hier ist der Wein trockener und muss mit Honig gesüßt werden, um trinkbar zu sein.«
    »Was es nicht alles gibt. Und was steht dort drüben?« Kallisthenes deutete auf eine Platte voller flacher, gebrannter Teigwaren, die verführerisch golden leuchteten und mit schwarzen Punkten übersät waren.
    Doch die Antwort kam nicht von Timon, sondern aus einer anderen Richtung.
    »Wir nennen diese Leckerbissen ›Backwerk der Königin Esther‹«, erklärte Salome quer über die auf niedrigen Bänken angerichtete Tafel hinweg. »Die schwarzen Punkte rühren von der kostbaren Vanille her. Das Gebäck wird nur zu besonderen Gelegenheiten gereicht.«
    »Königin Esther, aha. Hat sie gerne gebacken?«
    Salome lachte. »Eine backende Königin ist eine amüsante Vorstellung, vielleicht sollte ich es selbst einmal probieren. Nein, Esther hat alle Juden Persiens vor der Ermordung bewahrt, indem sie während eines Mahls, zu dem dieses Backwerk serviert wurde, eine Intrige aufdeckte. Eine lange Geschichte. Der Tag der Rettung wird noch heute mit Festen und vielen süßen Spezereien gefeiert, er heißt purim . Und dieses Gebäck gilt allgemein als Ausdruck der Freude, wie zum Beispiel Freude über liebe Gäste.«
    »Der Freude, aha.« Kallisthenes blickte um sich. Die Freudenstimmung hielt sich sehr in Grenzen, fand er. Der dicke Tetrarch schnarchte, seine Frau sah aus, als würde sie ihn am liebsten erwürgen, und Timon bemühte sich wieder, niemanden anzusehen, vor allem nicht Salome.
    Als hätte sie Kallisthenes’ Blick gelesen und nur darauf gewartet, rief Salome: »Du hast Recht, Kallisthenes. Wir sollten für mehr Unterhaltung sorgen. Ich werde den Anfang machen und tanzen.«
    »Tanzen?«, schrie Herodias dermaßen laut, dass sogar Antipas erwachte.
    »Wer hat etwas von Tanzen gesagt?«, fragte er sofort.
    »Salome«, erwiderte Herodias missmutig.
    »Ach, Salome«, seufzte er enttäuscht. »Jetzt?« Er hätte genauso gut ›Muss das sein?‹ fragen können, so uninteressiert klang es.
    Salome sprang auf, rief zwei weitere Musikanten und schlang sich einen weiten nachtblauen Schleier locker um den Kopf und die Schultern, bis sie aussah wie ein Geheimnis.
    »Willst du wirklich tanzen?«, fragte Philipp. Es klang eher verwundert als aufgebracht, sogar ein wenig traurig.
    Sie antwortete ihm nicht mehr. Einer der Musikanten blies auf ihr Zeichen hin in das aulos , eine Doppelflöte, die einen warmen, melancholischen Klang in den Saal schickte. Die Melodie war langsam und wurde immerzu wiederholt, als drehe sie sich um sich selbst; sie hüllte ein, sie spann einen Faden aus Tönen, und schon nach wenigen Momenten war man in einer anderen Welt, in

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