Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
war der Weg von Tiberias nach Bethsaida kurz. Da beide Städte am See Genezareth lagen, bestieg das Fürstenpaar ein Schiff, das eigens für diese Reise gebaut worden war, und fuhr mit der Nachmittagssonne und einem milden Wind im Rücken in nordöstliche Richtung. Von gleichmäßigen Ruderschlägen angetrieben, durchpflügte das Schiff die seichten Wellen, als schwebe es auf einer Wolke dahin, und Antipas schlummerte schon nach wenigen Minuten auf seinem Prunksessel auf dem Oberdeck ein. Er hatte die ganze Nacht getrunken, nun schnarchte er, was das Zeug hielt.
Herodias blickte ihn mit verzogenen Mundwinkeln an. Sie hatte nicht die Absicht, sich das die ganze Überfahrt lang anzuhören. Stattdessen spazierte sie lieber ein wenig über das Deck und betrachtete die Muskeln der Rudersklaven. Die meisten Männer waren dunkelhäutig, denn die thora verbot, Juden als Sklaven zu halten, gestattete hingegen ausdrücklich die Unterjochung von Menschen benachbarter Staaten, also von Ägyptern und Nabatäern. Der afrikanische Nubier unter den Ruderern erregte sie besonders, denn den athletischen Körper überzog ein feiner Schweißfilm, der seine schwarze Haut wie Samt glänzen ließ, und sein Gesicht verzerrte sich unter der Anstrengung zu einer hinreißend zornigen Grimasse. Wie gerne würde sie ihn … Nein, das war undenkbar. Eine Frau in einer Stellung wie sie durfte sich nicht mit Sklaven abgeben. Aber ein Seufzen konnte sie dennoch nicht unterdrücken.
»Bist du mit irgendetwas unzufrieden, Herrin?«
Die Frage des Schiffskommandanten klang besorgt. Für diesen verantwortungsvollen Rang war er noch recht jung, und er wollte auf seiner ersten Fahrt unbedingt alles richtig machen.
Herodias spielte lächelnd mit ihrer Perlenkette. Dieser Offizier war wirklich ein Schmuckstück, und ihre erfahrenen Augen erkannten sofort, dass er sich im Bett führen lassen würde. Sie war es nämlich leid, von Antipas’ schwerem Körper erdrückt zu werden, ohne Gelegenheit, ihre Künste voll zu entwickeln.
»Wenn wir wieder zurück in Tiberias sind«, erwiderte sie, »musst du mich einmal besuchen, Kommandant. Dann berichte ich dir meine Beobachtungen deiner Leistungen.«
Er nickte, seine Augen verrieten jedoch Verwirrung. Ganz sicher hatte er noch nicht verstanden, worauf sie hinauswollte, doch das würde er noch zeitig genug erfahren.
»Fürs Erste«, fügte sie hinzu, »bin ich zufrieden. Oder warte … Wie lange werden wir noch bis Bethsaida brauchen?«
»Etwa eine halbe Stunde, Herrin.«
»Geht es nicht schneller?«
Er zögerte. »Ich müsste den Rudertakt erhöhen, Herrin. Allerdings weiß ich nicht, wie lange die Sklaven das durchhalten.«
»Wir werden sehen«, sagte sie und richtete den Blick wieder auf den Nubier. Unter dem schnelleren Takt spannten sich die Sehnen seiner Arme und Beine bis zum Zerreißen, und seine Pupillen funkelten wild. Herodias beobachtete genießerisch, wie sich der Ausdruck seines Mundes veränderte, von den anfänglich kraftvoll zusammengebissenen Zähnen über schweres Keuchen bis zu matter, an Ohnmacht grenzender Erschöpfung. Doch der Schlag einer Peitsche erweckte ihn zu neuem Leben, und Herodias war es ein weiteres Mal vergönnt, die Phasen der Entkräftung zu betrachten.
»Haritha, Haritha!«
Mitten im höchsten Genuss wurde sie von den Schreien ihres Gemahls unterbrochen. Schlimm genug, dass Antipas den Namen seiner früheren Frau fast jede Nacht durch den Palast kreischte, so dass es der ganze Hof hörte und damit ständig ein Thema zum Lästern hatte. Jetzt bekamen auch noch die Offiziere und Bootsmannschaften seinen jämmerlichen Zustand mit. Ausgerechnet ihre frühere Rivalin geisterte ihm durch den Kopf. Was für eine Demütigung!
Wütend rüttelte sie ihn wach, damit er nicht noch mehr Schaden anrichtete. Als er sie, noch benommen von seinen Träumen, anblickte, erklärte sie: »Du hast wieder geschrien, Antipas. Kannst du dich nicht ein einziges Mal zusammenreißen?«
» Sie – war wieder da«, winselte er.
Herodias biss sich zornig auf die Lippe. »Zeig sie mir. Wo ist sie? Nirgends! Sie ist nicht da. Sie ist tot, Antipas, tot. Wann begreifst du das endlich? Sie kann dir nicht mehr schaden.«
»Sie hat mir nie geschadet.«
»Scht«, zischte sie ihn an. »Sprich leiser, alle können dich sonst hören.«
»Das ist mir egal. Jeder kann hören, was für eine Frau Haritha war. Nie hat sie mir widersprochen und immer alle Wünsche erfüllt. Sie war eine Tänzerin, eine
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