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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Steinmetzen, Zieglern, Köchen und allen anderen errichtet, die für den Bau einer Stadt benötigt wurden. Auch die vierzig zusätzlichen Architekten trafen nach und nach ein, denn es wäre schier unmöglich gewesen, Hunderte von Bauwerken und Straßen zu zweit zu entwerfen und den Bau zu überwachen. Mit der Oberaufsicht hatten sie schon genug zu tun. Obwohl Kallisthenes und er vom frühen Morgen bis in die Nacht arbeiteten, erhob sich die bevorstehende Aufgabe noch immer wie die Berge hinter ihm zu einer beängstigenden Herausforderung. Nur die Bilder seiner künftigen Stadt stimmten ihn wieder zuversichtlich. Das Lebenswerk, das er sich ebenso wie sein väterlicher Freund Kallisthenes mit dieser Stadt erschaffen wollte, stand in seinen Träumen so deutlich und ausgeschmückt vor ihm, dass er jeden Morgen einen Lidschlag lang erstaunt war, dass Philippi sich noch nicht fertig und belebt vor ihm erhob.
    »Halt, nicht dorthin«, rief er einem Arbeiter zu, der soeben eine Markierung anbringen wollte. Seit gestern begann man damit, entsprechend den ersten Entwürfen die Position der zentralen Gebäude festzulegen, und rammte zu diesem Zweck Pflöcke mit verschiedenfarbigen Wimpeln in den Boden. Die Männer mussten dabei sehr genau arbeiten, denn bereits kleine Abweichungen von dem Grundrissplan zögen problematische Verschiebungen nach sich.
    »Achte auf deine Karte!«, mahnte Timon. »Siehst du, du musst die Linie einhalten.«
    Der Arbeiter nickte, aber Timon entdeckte bereits weitere Fehler. »Was ist denn das?« Statt der roten Pflöcke, die zur Markierung von Gebäuden gedacht waren, wurden von einigen Arbeitern weiße Pflöcke verwendet, die eigentlich Straßen markieren sollten.
    »Die müssen wieder raus«, befahl er. Doch die Arbeit ging ihm viel zu langsam vonstatten, und so legte er selber Hand an. Er kniete sich nieder, umfasste einen Pflock und riss ihn aus dem harten Boden. Nach einem weiteren Pflock war sein Kopf bereits rot vor Anstrengung, nach dem dritten war sein Körper verschwitzt und beim vierten zerriss er sich seine dunkelblaue Tunika.
    »Nun ist es ohnehin egal«, flüsterte er vor sich hin und zog das zerfetzte Kleidungsstück kurzerhand aus. Nur mit einem Schurz bekleidet, sah er aus wie die übrigen Arbeiter und schuftete auch wie sie. Wenn mich jetzt bloß Kallisthenes nicht sieht, dachte er und erblickte diesen im nächsten Moment.
    »Wie oft soll ich es dir noch sagen?«, schimpfte Kallisthenes und schüttelte den Kopf. »Ein Architekt erteilt Anweisungen, aber er wird niemals, niemals körperliche Arbeit verrichten. Das macht nicht nur einen schlechten Eindruck auf die Auftraggeber, sondern verhindert auch, dass man den Überblick behält, weil …«
    »… weil man sich bei körperlicher Arbeit auf die Einzelheit der Ausführung konzentriert und nicht auf das Ganze, ich weiß.« Timon war dem Architekten wegen der Ermahnungen nicht böse. Er hatte ja Recht. Wenn Philippi ein architektonisches Prachtstück werden sollte, musste er lernen, strategisch zu denken. Er musste in der Lage sein, Aufgaben an andere abzugeben, Fäden in der Hand zu halten, nicht alles wissen und machen zu wollen. Kurz, er musste wie ein Feldherr auf diesem Land stehen, nicht wie ein Rekrutenausbilder. Doch manchmal juckte es ihn einfach in den Fingern, mit anzupacken. Vielleicht hatte er im Steinbruch zu lange körperliche Arbeit verrichtet, um jetzt mit anzusehen, wie andere neben ihm schufteten. Vielleicht lag der Grund dafür auch tiefer. Seit Nikolaos’ Tod hatte er sich allein durchs Leben schlagen müssen, wobei er angebotene Hilfe zwar angenommen hatte, aber nur so lange in Anspruch nahm, bis er auf eigenen Füßen stehen konnte. Er war es gewöhnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und sein Wunsch nach Gestaltung schloss immer auch ein, unmittelbar mitzuwirken. Ein Haus, bei dem er nicht wenigstens einige Steine selbst behauen, ein kleines Relief eigenhändig geschliffen und das Portal persönlich in die Scharniere gesetzt hätte, könnte er nicht als sein Werk betrachten. Bisweilen – so wie heute – war es auch nur bloße Ungeduld, die ihn antrieb.
    »Wir liegen einen Tag hinter dem Zeitplan zurück«, erinnerte Timon ihn.
    »Ein Tag! Was ist schon ein Tag, verglichen mit der Ewigkeit, die Philippi stehen wird. Bis wir fertig sind, werden Jahre vergehen, Jahre übrigens, in denen der Zeitplan mindestens zwanzigmal abgeändert werden muss. Ich glaube eher, du reagierst dich ein wenig an den

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