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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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einem Kokon der Exotik. Mit der Langsamkeit der Melodie drehte sich auch Salome um die eigene Achse. Mal streckte sie sich und mal schraubte sie sich so weit herunter, dass ihre Hände den Boden berührten, doch immer blieb ihr Rücken gerade und ihr Gesicht zur marmornen Saaldecke erhoben, über der die Sterne glitzerten. Die lyra setzte ein, nicht zaghaft und beschaulich wie vorhin, sondern wie ein Waldesrauschen, die Töne hell und dunkel und munter, so dass man sie nicht auseinander halten konnte. Die Melodie beschleunigte sich im Takt einer Handtrommel, sie war wie ein Sog. Und Salome war wunderbar.
    Selbst Kallisthenes, der Frauen längst aus seinem Leben ausgeklammert hatte, konnte ihre Wirkung nicht verleugnen. In ihrem geschlitzten roten Kleid wirkte sie wie Feuer, und der blaue Schleier war der Rauch, der sie umwehte. Fabelhaft, dachte er. Sie erschaffte ein Bild, und der Zufall hatte gewollt, dass sie genau die richtige Kleidung dafür trug. Oder war es gar kein Zufall?
    Das Tamburin steigerte die Geschwindigkeit der exotischen Melodie ein letztes Mal. Das Trommeln und Rasseln füllte den ganzen Saal aus, Diener blieben stehen und sahen der Tänzerin zu, die Musikanten wurden von ihrem eigenen Feuer mitgerissen und spielten immer schneller. Doch konnte keine Musik so rasant sein, dass Salomes Schritt ihr nicht folgen würde.
    Kallisthenes konnte seine Neugier nicht bezähmen und riss sich von dem Spektakel los, um die Gesichter der anderen zu beobachten. Herodias’ Miene war düster. Jede andere Mutter wäre stolz gewesen, aber aus ihr blickte nur Neid und – Angst. Kallisthenes konnte es kaum glauben und sah noch einmal genauer hin; er las tatsächlich Furcht in ihren Augen. Im nächsten Moment fand er die Erklärung dafür. Noch nie hatte er einen Gesichtsausdruck gesehen wie jetzt bei Antipas, verzerrt von Begierde. Schämte er sich nicht, so offensichtlich nach der Frau seines Bruders zu hungern? Und merkte Salome nicht, wie ihr Stiefvater auf ihren Tanz reagierte?
    Nein, sie merkte nichts davon. Der Tanz erreichte seinen Höhepunkt, schneller und wilder konnten die Musiker unmöglich spielen. Zwischen ihren Sprüngen und Drehungen warf Salome kurze Blicke zu Timon. Und der beantwortete sie zum ersten Mal. Zu Kallisthenes’ Schrecken waren Timons Augen zu zwei azurblauen Flammen geworden.
    Zum Glück bekam Philipp davon nichts mit. Auch er war in den Anblick seiner tanzenden Frau vertieft, doch er strahlte weder die dunkle Begierde seines Bruders aus noch die erwachte Leidenschaft seines – Kallisthenes fiel kein anderes Wort ein – Rivalen. Ruhig und emotionslos, so als wolle er danach einen Bericht über den Tanz anfertigen, folgte er den letzten aufregenden Figuren Salomes. Sie warf schwungvoll ihren Schleier von sich, der über den Köpfen Philipps und Timons niederging, und kniete im nächsten Augenblick auf dem Boden.
    Die Musik verstummte, und die Anwesenden rührten sich nicht.
    Erst Philipps bedächtiges Klatschen brachte wieder Bewegung in den Saal. Die Diener setzten ihre Arbeit fort, die Musikanten verschwanden, die Gesichter entspannten sich, und Salome sprang freudestrahlend auf.
    Kallisthenes stimmte mit allen anderen in Philipps Applaus ein, doch er dachte daran, wie viele verschiedene Emotionen er eben noch während Salomes Tanz erkannt hatte, und er ahnte nichts Gutes.

15
    Jeden Morgen, wenn Timon aus seinem Zelt trat, erwartete er, eine Stadt vor sich zu sehen – Philippi. Ins Morgenrot getauchte, pfirsichfarbene Türme, palmengesäumte Alleen, die zu geschwungenen Torbögen führten, die ratternden Karren der Fuhrleute, Kamelkarawanen, der gelegentliche Ruf eines Rabbiners , der seine berachot , seine Segenswünsche, unter die Gläubigen verteilte – jenes Gemisch eben aus Natur, Geld, Göttern und ein wenig Schmutz, das jede spannende Stadt ausmachte. Stattdessen blickte er jedoch auf eine Fläche aus welkem Gras und wuchernden Kräutern, und wenn er sich umdrehte, ragten dort die grauen Wände des Hermon-Massivs wie Riesen in den Himmel. Alles andere wäre auch ein Wunder gewesen, denn er war erst seit zehn Tagen hier. Kein einziges Gebäude war entworfen, geschweige denn in Angriff genommen. Keine Grundmauer, kein Ziegel weit und breit, nur einige Gräben durchzogen den taufeuchten Boden. Hundert Schritte entfernt, im Schatten der Berge, entstanden zwar zehn feste Unterkünfte und unzählige Zelte, doch die wurden für die täglich eintreffenden Scharen von Arbeitern,

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