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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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den grauschwarzen Horizont ab. Sie schnellte auf und weckte dadurch Timon.
    »Wer bist du?«, rief sie dem barfüßigen Mann entgegen. Noch immer konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. Er war stehen geblieben und musterte sie ebenso wie sie ihn.
    »Wer du bist, weiß ich«, antwortete er. Seine Hand krallte sich um einen langen Stock. Er trug ein grobes Gewand aus Kamelhaaren, an der Hüfte durch einen Ledergürtel zusammengebunden.
    »Und woher?«, fragte sie.
    »Ich habe dich gesehen.« Er warf eine Münze, die unmittelbar vor ihr im Gras landete. Sie zeigte ihr Abbild. »Ich habe dich in Bethsaida gesehen, an der Seite des Fürsten dieses Landes. Du bist die Tochter der Herodias.«
    Timon stellte sich schützend vor Salome. »Was willst du von uns?«
    »Ich bin ein Wanderer«, erklärte er, »und begegne euch nur zufällig. Oder wer weiß, vielleicht hat der Herr mich hierher geführt. Ich bin zu gering, um seine Absichten zu erkennen.«
    Langsam kam er auf sie zu, wobei sich wiederum mehrere Steine von der Böschung lösten und ins Wasser rutschten.
    Timon trat ihm einen Schritt entgegen. Er sah aus, als stelle er sich auf alles ein, auch auf einen Kampf. Räuber gab es überall, Attentäter neuerdings auch, und der Mann war ein Hüne. Allerdings schien er außer dem Stock keine Waffen zu tragen.
    Timon und der Fremde standen sich gegenüber, und jetzt war auch das große, breite Gesicht des Fremden zu erkennen. Es war von einem wilden, braunen Bart bedeckt, aus dem feurige Augen leuchteten. So hatte Salome sich immer die Propheten in den heiligen Schriften vorgestellt.
    »Bist du einer der Männer, die herumlaufen und das Kommen des Messias predigen?«, fragte Salome.
    »Er ist schon da«, erwiderte der Mann. »Ihr wollt ihn bloß noch nicht sehen. Ich weiß es, denn ich bin Johannes, den alle den Täufer nennen.«
    Salome wusste einiges über ihn. Seit Jahren predigte er entlang des östlichen Jordanufers, weil er in Galiläa nicht mehr sicher war. Seine Schimpfreden gegen Antipas und Herodias, gegen Pharisäer und Sadduzäer, gegen Eitle, Sünder und vom Glauben Abgefallene waren landauf und landab bekannt. Die zu ihm kamen, segnete er mit dem Wasser des heiligen Flusses, die Zweifelnden versetzte er mit gewaltigen Drohungen vom Gottesgericht in Angst und Schrecken. Er ernährte sich von Heuschrecken, die er fing und in wilden Honig tauchte, lehnte jede Bequemlichkeit ab und dankte Philipps Großzügigkeit, ihn ungehindert in Basan walten zu lassen, mit polternden Reden gegen die neue Stadt Philippi, die angeblich ein Hort der Ungläubigen und Zuchtlosen werden würde, ein neues Sodom.
    Timon hingegen wusste nichts über den Mann. »Schön«, sagte er. »Nachdem wir nun gegenseitig lustiges Raten von Namen betrieben haben, kannst du ja wieder deiner Wege gehen.«
    Der Blick des Täufers glitt über Timons Schulter hinweg zu Salome. »Was habt ihr hier getan?«
    »Das geht dich nichts an«, gab sie zurück.
    »Ihr habt beieinander gelegen wie Mann und Frau, obwohl ihr es nicht seid.«
    Ihr Schweigen bestätigte ihn. »Und du?«, wandte er sich an Timon. »Du bist kein Jude.«
    »Nein. Ich bin griechischer Architekt.«
    »Dann ist es noch schlimmer, als ich dachte. Die Fürstin, deren Eitelkeit so groß ist, dass sie sich auf Münzen schlagen lässt, tut sich zusammen mit dem Architekten einer Stadt, die ein Bollwerk der Sünde werden soll. Oh, das Blut der Herodias ist so stark wie das Gift gefallener Engel. Ändere dein Leben, Tochter der Verderbnis, sonst kannst du nicht gerettet werden. Gott wird in naher Zukunft seine Herrschaft errichten und sein Werk vollenden. Lasse dich taufen und lebe nach den Geboten, sonst kannst du nicht gerettet werden.«
    Johannes eilte mit schweren Schritten die Böschung hinunter und watete bis zu den Knien in den Fluss. »Komm her und schwöre deinem Blut ab. Dann werde ich dich taufen.«
    »Nein«, rief sie.
    »Warum nicht? Dein Leben wird sich von Grund auf ändern.«
    »Du hast gehört, was die Fürstin sagte«, mischte sich Timon ein. »Also geh weiter. Wir lassen dich in Ruhe, also lasse auch du uns in Ruhe.«
    »Glaubst du, der Herr lässt auf diese Weise mit sich handeln, wenn der Tag seiner Herrschaft kommt?«
    Timon ging zu Salome. »Komm, lass uns gehen.«
    Sie wandten sich beide ab und wollten das Tal verlassen, doch der Täufer sprang mit riesigen Sätzen, die man seinem schweren Körper nicht zugetraut hätte, die Böschung hinauf und holte die beiden ein.
    Timon

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