Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
zusammengenommen.
Hätte er dieses Treffen doch bloß in Caesarea, seiner Residenz, abgehalten! Nein, gutmütig, wie er war, folgte er der Einladung des widerwärtigen Antipas und seiner nicht weniger widerwärtigen Frau.
»Wann sind wir denn endlich da?«, quengelte er.
Die Antwort kam von einem Centurio, der neben der Sänfte ritt. »Wir sind am Ziel, Herr. Dort vorne, seht!«
Pilatus ließ den Zug stoppen. Er stieg aus der Sänfte, schützte seine Augen mit der Hand vor der Sonne und blickte in die Ferne.
Der Berg ragte wie ein Monstrum aus der Dünenlandschaft rund um das Salzmeer auf, und auf seinem breiten Buckel trug er eine nicht weniger gewaltige Festung. »Masada«, flüsterte Pilatus ehrfürchtig.
Die Wucht dieses Bollwerkes beeindruckte ihn jedes Mal aufs Neue. Glatte Felswände, die in riesenhafte Türme und Mauern mündeten, schwere Tore, zahllose Steinschleudern, Soldatenmassen: Selbst der Olymp der Götter konnte nicht besser befestigt sein.
»Gut, dass wir diese Festung nicht stürmen müssen«, kommentierte der Centurio. »Ich bin schon viel herumgekommen, Gallien, Germanien, Ägypten – aber nirgendwo habe ich etwas Vergleichbares gesehen.«
Bei dem Gedanken, dass Masada in die falschen Hände geraten könnte, lief Pilatus ein Schauer über den Rücken. Die Festung gehörte, zusammen mit den anderen Bastionen entlang der Ufer des Salzmeeres, Antipas. Es waren dessen Leute, die Masada bevölkerten und notfalls verteidigten. Pilatus war kein Militärexperte, er wusste jedoch, dass dieses Bollwerk nicht zu erstürmen war, und eine Belagerung würde Jahre dauern. Viele Jahre.
Auch solche Erwägungen musste er einbeziehen, wenn es darum ging, den Königstitel zu vergeben. Die Entscheidung darüber würde in den nächsten beiden Tagen fallen, so dass die Krönung noch vor dem Winter stattfinden – und Pilatus Judäa verlassen konnte. Endlich.
Er gab dem Centurio ein Zeichen, und die Sänfte mit der zweihundertköpfigen Leibwache setzte sich wieder in Bewegung.
Pilatus trat das letzte Stück der Reise an.
Als er nach weiteren zwei Stunden, in denen der Tross den schmalen, sich spiralförmig um den Berg schraubenden Pfad erklommen hatte, endlich im zentralen Hof der Festung ankam, begrüßten ihn sogleich Antipas und seine Frau. Pilatus fiel auf, dass Herodias bedeutend mehr redete als der Tetrarch, genau genommen sprach Antipas so gut wie nichts, er schien abgelenkt, mit seinen Gedanken woanders. Pilatus zerbrach sich darüber nicht den Kopf, denn er fühlte die Übelkeit in sich hochkriechen. Der spiralförmige Pfad, der Abgrund gleich daneben, die Schaukelei, das alles war zu viel für ihn gewesen. Mitten im Redeschwall der Herodias erbrach er ihr das gekräuterte Täubchen vor die Füße, das er mittags verspeist hatte.
Er bat darum, ihn allein zu lassen. Auch den Medicus, der ihm außer mit ein wenig tröstendem Schulterklopfen auch nicht helfen konnte, schickte er weg. Dann schleppte er sich zur Außenmauer, wo er sich über den Rand beugte und den Rest des Täubchens wieder zum Fliegen brachte – einhundert Meter in die Tiefe.
Es dauerte eine Weile, bis er sich besser fühlte. Die Sonne neigte sich inzwischen dem Horizont zu, die Luft wurde etwas frischer und tat ihm gut. Mit einem Tuch wischte er sich die gelben Flecken von der Toga und warf es dann über die Mauer, wo es, vom Aufwind erfasst, wie eine Friedenstaube in den Himmel stieg und irgendwann in der zerklüfteten Weite der Wüste Juda verschwand.
Pilatus sah dem Tuch fast ein wenig neidisch hinterher, dann glitt sein Blick über scheinbar endlose braune Dünen und das Tote Meer zu seinen Füßen. »Verdammtes Land«, zischte er. »Acht Jahre sind wirklich genug.«
Hinter ihm erschallte ein amüsiertes Lachen.
»Fürstin«, rief er aus. »Fürstin Salome.«
Natürlich hatte er gewusst, dass sie heute hier sein würde, denn sie war ambitioniert und wollte unbedingt verhindern, dass Antipas und Herodias die Krone gewannen. Ihr Erscheinen war also weniger eine Überraschung als ihre Erscheinung . Die letzten Jahre hatten jeden Rest von Melancholie und der Misere ihrer Kindheit aus ihrem Gesicht gelöscht. Obwohl sie nach wie vor nicht im eigentlichen Sinne schön war, hatte sie eine starke Ausstrahlung, noch unterstrichen von der orientalisch anmutenden Kleidung und dem Schmuck, der aus fernen Gebieten zu stammen schien und für den einige römische Damen, die er kannte, gemordet hätten. Ihre offenen Haare trug sie unter
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