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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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auf ihre Brust sinken ließ, war der letzte Ärger verflogen, den sie wegen seines eigensinnigen Vorhabens empfunden hatte.
    »Was glaubst du?«, fragte er schläfrig, wobei sein Atem über ihren Körper strich. »Werden wir irgendwann einmal als Mann und Frau in einer Landschaft wie dieser liegen, von Kindern umgeben, ohne große Pläne, ohne große Sorgen, frei von Zwängen? Werden wir je in einem Haus leben, das du gestaltet hast und ich gebaut habe? Werden wir die Städte und Könige und Ränke eines Tages hinter uns lassen und …«
    Timon träumte weiter und weiter. Seine Stimme murmelte wie das vorbeiziehende Wasser an Salomes Ohr, malte ein Paradies voller wunderbarer Momente, von denen jeder Einzelne eine Blume war, duftend im Sonnenlicht. Noch pulsierte das Abenteurerblut seiner Jugend in Timon, aber durch seine Worte schimmerte bereits das Erbe seines klugen Vaters Nikolaos, der stets den Ausgleich geliebt hatte. Diese beiden Eigenschaften gingen in Timon eine glückliche Verbindung ein.
    Salome kannte ebenfalls diese Sehnsucht nach einem unkomplizierten Zusammenleben mit einem Mann, den sie liebte. Sie kannte allerdings auch widerstreitende Gefühle, die Lust an der Konfrontation, die Freude am Regieren, die Liebe zur Herausforderung. Im Grunde verlief ihre Entwicklung gegensätzlich zu der von Timon. Je älter und erfahrener er wurde, desto mehr Ruhe wünschte er sich. Er hatte in seiner Kindheit und Jugend genug Abenteuer für drei Leben gesammelt, hatte in Rom, Jerusalem, Ashdod und in den Steinbrüchen von Ephesos alle Tiefen ausgelotet, um in seiner anschließenden Ausbildung zum Architekten die Vorzüge eines künstlerischen und handwerklichen Lebens ohne Aufregungen schätzen zu lernen. Mit dem Bau einer ganzen Stadt hatte er den Gipfel seiner architektonischen Träume bereits erreicht; er konnte in seinem Beruf nichts Größeres mehr erschaffen. Natürlich war er noch immer neugierig und unerschrocken, was jedoch nicht mehr so deutlich hervortrat wie in seiner Jugend.
    Salome verstand Timon nur zu gut, aber ihre eigenen Träume für Judäa waren noch weit von ihrer Erfüllung entfernt. Sie hatte in ihren ersten Jahren als Fürstin von Ashdod und von Basan keine Freude am Regieren gefunden, zum einen, weil sie von ihren Eltern eingeengt wurde, zum anderen wegen Timons Verschwinden. Sie hatte ihm lange nachgetrauert und war eine Ehe eingegangen, die sie nie befriedigt hatte. Nie hatte sie die Kraft gefunden, aus vollem Herzen für etwas zu streiten, immer war ein Teil von ihr schwach geblieben, zusätzlich geschwächt von Schicksalsschlägen und Verlusten. Erst seit zwei Jahren, seit Timon und sie nach vielen Monden und Hürden wieder zueinander gefunden hatten, spürte sie die volle Stärke und Tatkraft, die in ihr waren. In Ashdod eröffnete sie endlich die Mädchenschulen, von denen sie schon so lange geträumt hatte, in Basan trat sie leidenschaftlicher denn je für die Abschaffung der Sklaverei ein, und Philipp suchte immer häufiger ihren Rat in Fragen der Gesetzgebung. Dass ihr die Ehre zuteil wurde, auf Münzen dargestellt zu werden, war ein Indiz für ihre wachsende Bedeutung und Beliebtheit. Doch sie war noch lange nicht am Ziel, ja, noch nicht einmal auf der Hälfte ihres Weges angekommen. Sie wollte die Steinigung abschaffen, den Einfluss der engstirnigen Pharisäer brechen, dem Fremdenhass der Zeloten das Wasser abgraben – und das alles und noch mehr nicht nur in Basan verwirklicht sehen, sondern in ganz Judäa. Ehe das nicht erreicht war, würde sie immer das Gefühl haben, ihre Möglichkeiten nicht genutzt zu haben. Sie war nun einmal eine Herodianerin, für die Macht geboren.
    Timon hatte schon lange seinen Monolog beendet und war auf ihrer Brust eingeschlafen, ohne dass sie ihm hätte antworten müssen. Die letzten Tage waren für sie beide anstrengend gewesen, und die Aufgabe, die vor ihnen lag, erforderte Kraft und Konzentration. Auch Salome entschied sich, ihrer Müdigkeit nachzugeben. Wäre es nicht wunderbar, wenn sie beide nachher in der Dunkelheit aufwachen würden, so wie damals, in ihrer ersten gemeinsamen Nacht …
    Plötzlich schreckten die Vögel von den Bäumen auf, Steine rollten die Uferböschung hinunter und fielen klatschend ins Wasser, die Wildesel und Steinböcke flohen in die Felsen, und ein Bussard krächzte warnend über das Tal. Salome blickte nervös um sich. Keine zehn Schritte von ihr entfernt zeichnete sich die Silhouette eines gewaltigen Mannes gegen

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