Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
eine solche Tat als Auftraggeber in Frage kam. Unwahrscheinlich, jedoch nicht ausgeschlossen, war, dass ein unzufriedener Arbeiter die Attentate in Eigenverantwortung beging. Auf Baustellen ging es immer mal drunter und drüber, Entscheidungen wurden getroffen, die nicht jedem gefielen, und Timon traf jeden Tag Hunderte davon. Doch er behandelte die Leute besser, als sie es von vorherigen Herren gewöhnt waren, und sobald Philippi fertig gestellt war, würde jeder seine Freiheit und eine Wohnung in der Stadt bekommen.
Ihr drängte sich eher der Gedanke auf, dass Timon jemandem im Weg war. Den Offizieren war zu seinen Gunsten die Befehlsgewalt über die Wachen weggenommen worden, möglich, dass einer von ihnen das wieder ändern wollte. Dann die pharisäischen Juden, denen das ganze Projekt Philippi nicht gefiel – ein Schmelztiegel der Religionen am Rande des Verheißenen Landes. Seit Jahren liefen sie bei Philipp Sturm dagegen.
Und Philipp? War es möglich, dass er weitaus eifersüchtiger war, als er zugab? Dagegen sprach, dass er in letzter Zeit bester Laune schien, er, der früher nicht einmal wusste, was Launen waren. Seine Beliebtheit beim Volk angesichts seiner umsichtigen Regierung wurde immer größer, so dass sogar die jüdischen Bürger nicht protestierten, als er ihnen Münzen mit seinem und Salomes Konterfei zumutete, also verbotene Abbildungen. Er verhielt sich ihr gegenüber wohlwollender denn je.
Dennoch, sein Name kam ebenso auf die Liste wie der von Herodias und von Antipas. Die Beziehung zu ihnen war schlecht. Wer konnte schon wissen, was in den Köpfen ihrer Mutter und ihres Stiefvaters vor sich ging? Keiner von beiden würde vor Sabotage zurückschrecken, um den Bau Philippis zu verzögern.
Salome und einige ausgewählte Männer ihres Gefolges befragten Arbeiter im Lager, ob einer der ihren vielleicht plötzlich zu Geld gekommen sei, ob sie ein verdächtiges Verhalten beobachtet hätten, ob jemand im Weinrausch damit geprahlt habe, einen hohen Offizier oder gar einen Fürsten persönlich zu kennen, ob Pharisäer sich unter den Arbeitern befänden und allerlei mehr. Sie erhielt mehr positive Rückmeldungen, als ihr lieb war. Nachdem vier Tage lang unzählige Arbeiter befragt worden waren, galt fast jeder Gruppenführer als verdächtig, ebenso jede Wache und jeder Aufseher, und umgekehrt meldeten die Aufseher, Wachen und Gruppenführer Hunderte von verdächtigen Arbeitern. Alle Antipathien und schlechten Gefühle, die zwangsläufig entstanden, wenn so viele Menschen jahrelang auf engem Raum arbeiten, schlafen und essen mussten, traten nun zutage. Salome erkannte die Unmöglichkeit, Hinweise für ihre Nachforschungen herauszufiltern.
Doch dann half ihr ein glücklicher Umstand. Am Tag fünf nach dem Attentat auf Timon floh ein Mann nachts aus dem Lager. So etwas kam immer wieder vor, denn die Bewachung war bewusst auf das Notwendigste reduziert, und manche Sklaven wollten ihre baldige Befreiung nicht abwarten. Das Besondere an dieser Flucht war, dass der Mann nicht als Sklave in Philippi arbeitete, sondern als Aufseher. Noch nie zuvor war ein Aufseher von der Baustelle geflohen, denn sie waren frei und wurden bezahlt. Seine Abwesenheit fiel am nächsten Morgen auf und wurde Timon und Salome sofort gemeldet.
»Einer meiner verlässlichsten Leute«, stellte Timon fest, als er den Namen las. »Was habe ich ihm nur getan?«
»Kein Grund für Selbstvorwürfe. Er war nicht von Anfang an in deinen Diensten. Er stieß erst vor einem Jahr zum Bau, vermutlich mit keinem anderen Ziel, als dich zu beseitigen.«
»Warum?«
Salome schüttelte den Kopf. »Wir wissen bisher nur, dass er Galiläer ist. Wenn er die Nerven behalten hätte, wäre er höchstwahrscheinlich unentdeckt geblieben.«
»Die Lage wurde ihm wohl zu gefährlich.«
Sie nickte. »Unser Glück. Nun kenne ich zumindest die Himmelsrichtung, in der ich weiterforschen muss. Die Spur führt zu meiner lieben Familie und ihrem Hofstaat. Und dabei kommt mir ein weiterer Glücksfall zu Hilfe, denn in drei Wochen werden sich Antipas, Philipp und Pilatus in Masada treffen. Herodias und Rabban Jehudah werden auch dabei sein.«
»Und du ebenfalls?«
»Es geht bei dem Treffen um den Königstitel, der noch in diesem Jahr vergeben werden soll. Aber jetzt habe ich noch einen Grund mehr, teilzunehmen. Antipas und Herodias reisen stets mit großem Hof. Ich werde mit Bestechungsgeldern nur so um mich werfen, um Hinweise zu erhalten.«
Salome blieb noch
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