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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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stellte sich ihm in den Weg, aber Johannes schob ihn mit seinem Stab einfach zur Seite und trat dicht vor Salome. Sein Blick irrte wie eine schwarze Wolke über ihr Gesicht. »Du ahnst nicht, was dir noch bevorsteht«, donnerte er. »Welcher Schrecken dich heimsuchen, welches Unglück dich niederreißen wird, Tochter der Herodias. Du wirst werden wie deine Mutter, über und über besudelt vom Bösen, in Sünde wie in Schlamm steckend.«
    Sie wollte sich von ihm abwenden – er riss sie an ihren Schultern wieder herum. »Eine Gehetzte wirst du sein«, polterte er weiter. »Was du begehrst, wird vergehen, was du verabscheust, groß und mächtig werden. Deine Kinder werden elend zugrunde gehen, noch bevor sie eigene Kinder zeugen können. Dein Geschlecht wird aussterben. Die Axt ist schon angelegt …«
    In diesem Moment riss Timon den Täufer von Salome weg, so dass beide strauchelten und ins Gras fielen. »Ich sage es dir zum letzten Mal«, drohte Timon. »Lass uns in Ruhe.«
    Schnell richtete Timon sich wieder auf, legte seinen Arm schützend um Salomes Schultern und eilte mit ihr den Pfad zu den Felsen hinauf.
    Doch die Stimme des Täufers holte sie noch einmal ein. »Du bist verflucht, Salome. Du bist verflucht auf ewig.«
     
    Als sie endlich den Pfad durch die Felsen erreicht hatten und der Täufer weit hinter ihnen war, blieb Salome abrupt stehen und schlug mit der Faust auf den warmen Stein ein.
    »Wie zuwider sie mir sind«, zischte sie. »Diese Propheten und Seher, die Besserwisser, Heilsboten und Unheilsverkünder. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich sie hasse.«
    Timon strich ihr über das lange, offene Haar. »Beruhige dich«, sagte er leise. »Du zitterst ja am ganzen Leib. Er hätte dir nichts angetan, auch wenn ich nicht dabei gewesen wäre. Er ist ein harmloser verwirrter Mann, der …«
    »Er ist nicht harmlos«, sagte sie und schlug ein weiteres Mal gegen den Berg. »Menschen wie er halten dieses Land in ihrem Griff, und wenn nicht irgendjemand sie aufhält, werden sie auch noch in tausend und zweitausend Jahren das Volk mit ihren Reden verwirren. Ich sage dir, dieser Täufer ist nicht besser als ein Rabban Jehudah oder ein Sadoq. Menschen wie er bringen Menschen wie Haritha, die nicht in ihr Regelwerk passen, den Tod.«
    »Jetzt übertreibst du. Der Mann ist ein Eremit aus der Wüste, wild aussehend, aber unbewaffnet.«
    »Er braucht keine Waffe, solange er seine Zunge hat. Was glaubst du wohl, welche Taten einst aus radikalen Worten wie seinen entstehen werden? Taten des Friedens? Werden seine Nachfolger diejenigen, die nicht ihrer Meinung sind, in Ruhe lassen? Wohl kaum! Der Täufer verflucht alles, was ihm nicht passt, unsere Stadt, unsere Münzen, unsere Liebe …«
    »So etwas berührt dich doch nicht. Du hast mir selbst erzählt, wie oft dir Sünden vorgehalten wurden.«
    »Noch nie«, rief sie außer sich, »noch nie hat jemand meine ungeborenen Kinder verflucht. Das darf niemand. Niemand! Ich hasse ihn, Timon. Ich hasse sie alle. Und ihren Gott mit ihnen.« Salome war den Tränen nahe, Tränen der Wut, aber – wie sie sich nur ungern eingestand – auch Tränen der Angst. Selbst wenn sie nicht an Flüche und Prophezeiungen glaubte, sie würde die Worte des Täufers nie vergessen können. Seit der Demütigung durch Kephallion hatte sie sich jedoch geschworen, nie wieder zu weinen, und mit einer großen Willensanstrengung gelang es ihr, diese sichtbaren Zeichen des Schmerzes zu unterdrücken.
    Timon umarmte sie mit seiner ganzen Kraft und ließ sie nicht los, bis sie ein wenig zur Ruhe gekommen war. Dann küsste er sie und blickte sie mit seiner ganzen Zuversicht an. »Es ist vorbei«, sagte er. »Wir werden den Mann nie wiedersehen.«
    Sie schaffte es, kurz zu lächeln. »Ja«, sagte sie, tief durchatmend.
    Doch sie ahnte, dass es noch nicht vorbei war.

17
    Pontius Pilatus schob den Vorhang seiner Sänfte sacht beiseite, und schon blendete ihn die grelle Sonne. Mittlerweile glaubte er, sie sei allgegenwärtig, sie verfolge ihn. In diesem Land, so sagte er häufig, gibt es mehr Rabbiner als Schatten.
    Er stöhnte, ließ sich in die mit Entendaunen gefüllten Kissen zurückfallen und überließ seinen Körper dem trägen Schaukeln der Sänfte. Ihm war übel. Auf der steinigen Straße stolperte alle paar Minuten einer der sechs Träger und brachte die Sänfte zum Schwanken. Er hasste dieses Geröll. In diesem Land, so sagte er häufig, gibt es mehr Steine als im ganzen übrigen Imperium

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